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Haus der Erinnerungen

Haus der Erinnerungen

Titel: Haus der Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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sehr streng. Wenn er von dieser Sache erführe, würde er sagen, ich hätte es ihm zur Schande getan. Du kennst ihn doch selbst, Jenny. Du weißt, wie er ist. Du weißt, wie sehr Mutter ihn fürchtet und wie John sich vor ihm duckt. John wollte nie in Warrington bleiben und Verwaltungsangestellter werden. Aber er mußte es, weil Vater es befahl. Victor war der einzige, der sich gegen ihn auflehnte...« Harriet schien vergessen zu haben, was sie hatte sagen wollen. Als sie schwieg, fragte Jennifer sanft drängend: »Und zu wem bist du nun gegangen, Harriet?«
    »Zu meinem Bruder. Ich dachte, er könnte mir vielleicht helfen. Und - er hat's ja auch getan...«
    Wie ein Automat streckte Harriet ihren rechten Arm aus, rollte den Ärmel hoch und zeigte Jennifer ihren weißen Unterarm. In der Ellbogenbeuge war ein großer roter Fleck, von dem blaurote Streifen wegführten.
    »Harriet, was ist das ?«
    »Das ist von einer Spritze. Wie nennt man es gleich — von einer Injektion.«
    »Wo hast du die bekommen?« Jenny beugte sich über Harriets Arm. »Das sieht aus, als wäre es entzündet.«
    »Ist es auch. Aber es vergeht wieder, hat er gesagt.«
    »Harriet, ich begreife nicht. Was ist geschehen ? Wer hat das getan ?«
    Sie faßte Harriet bei den Schultern und schüttelte sie ein wenig. Harriet sah sie an, aber ihr Blick war so leer wie zuvor. »Ich bin keine Schönheit, nicht wahr?« sagte sie leise.
    »Ich bin eine graue Maus, nach der kein Mann sich umdreht. Ich werde niemals heiraten. Jetzt nicht mehr. Ich habe Sean O'Hanrahan geliebt. Ich wollte nur ihn. Aber jetzt werde ich eine alte Jungfer werden und bis zu meinem Tod eine bleiben.«
    »Harriet, was war das mit der Spritze ?«

    Harriet holte tief Atem. Ihr Gesicht wurde noch einen Schein blasser. Jennifer dachte flüchtig, Harriet sähe aus wie jemand, der eben mit dem Tod in Berührung gekommen war.
    »Er hat gesagt, sie wäre, um mich einzuschläfern. Er wollte mich betäuben. Aber irgendwie hat es nicht gewirkt - vielleicht weil ich zuviel Angst hatte. Oder vielleicht hat er mir nicht genug von dem Mittel gegeben. Dann mußte ich mich auf den Tisch legen. Ich wollte aufstehen, aber ich war angeschnallt. Ich sagte ihm, ich wolle einschlafen. Ich hab gebettelt und gebeten. Aber er war zornig und ärgerlich. Wahrscheinlich hat er es darum getan. Er sagte, ich hätte die Familie in Schande gestürzt.«
    »Harriet, wovon -«
    »Er hatte ein Instrument. Ich habe gesehen, wie es im Licht funkelte. Er hielt es in der Hand und befahl mir, ganz still zu liegen. Mein eigener Bruder...«
    »O Gott«, stöhnte Jennifer.
    »Er sagte, das wäre die einzige Möglichkeit. Er sagte, damit erspare er mir Leid und Kummer in der Zukunft. Ich würde gar
    nichts spüren, sagte er, und - oh, Jenny!« Harriet fiel plötzlich nach vorn und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Ihr Weinen klang wie das Wimmern eines Kätzchens. Zitternd versuchte sie, durch ihre Hände hindurch zu sprechen. »Ich war die ganze Zeit bei Bewußtsein. Ich habe alles gespürt. Dieser Schmerz! O Gott, Jenny, der Schmerz war grauenhaft. Du hast keine Ahnung! Es war wie eine Folter. Ich spürte genau, wie dieses scharfe, grobe Instrument das Leben aus mir herauskratzte. Erst als ich den Schmerz nicht mehr ertragen konnte, wurde ich endlich bewußtlos.«
    »Ach, Harriet, Harriet«, murmelte Jennifer und neigte sich vor, um Harriet über das Haar zu streichen. »Du armes, armes Kind. Du tust mir so entsetzlich leid.«
    Sie weinten beide. Jennifer streichelte Harriet und versuchte mit sanfter, liebevoller Stimme, sie zu trösten. Doch schon nach ein paar Sekunden hob Harriet den Kopf und sah Jennifer mit dem verständnislosen Blick eines verletzten Tieres an. »Was soll ich jetzt tun?«
    flüsterte sie. Jennifer konnte ihr keine Antwort geben.
    Harriet streifte Jennifers Hände ab und stand auf. Am ganzen Körper zitternd, blieb sie schwankend vor dem Feuer stehen. Die Blässe ihres Gesichts war erschreckend, und als ich sah, daß sie gehen wollte, stürzte ich vorwärts, weil ich fürchtete, sie würde stürzen. Aber Jennifer war schon auf den Beinen und stützte sie auf dem Weg zum Bett.
    »Ich möchte sterben«, sagte Harriet. »Mein eigener Bruder. Wie konnte er mir das antun. Ach, lieber Gott, laß mich doch sterben ...«
    Nach den ersten stockenden Schritten zum Bettt blieb Harriet stehen und blickte zu Boden. Mit zitternder Hand hob sie langsam ihren langen Rock. Auf dem Teppich leuchtete eine rote Blutlache,

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