Haus der Erinnerungen
die sich rasch vergrößerte.
14
Mir war an diesem Abend keine Atempause gegönnt. Obwohl ich mich vor Erschöpfung kaum auf den Beinen halten konnte, als ich mich schwankend durch den Flur zur Treppe tastete, sollte ich schon sehr bald wieder in den Strudel der Ereignisse des Jahres 1892
hineingezogen werden.
Das schreckliche Verbrechen, das an Harriet begangen worden war, hatte mich in gleichem Maß entsetzt wie Jennifer. Aber obwohl alles darauf hinwies, daß Victor der Täter war, konnte ich nicht glauben, daß er einer solchen Scheußlichkeit fähig sein sollte. Doch auch John konnte ich nicht verdächtigen. Er mochte schwach und labil sein, skrupellos und schlecht war er nicht. Mir blieb keine Zeit, mich von meinem Entsetzen zu erholen oder länger an dieser Unglücksgeschichte herumzurätseln; ich hatte noch nicht einmal die Treppe erreicht, als ich aus dem Vorderzimmer erneut Geräusche hörte. Die Ereignisse überstürzten sich jetzt.
Ich kehrte zur Tür des Vorderzimmers zurück, lehnte mich an den Pfosten und beobachtete John, der ruhelos im Zimmer hin und her lief. Jennifer, die wieder in dem roten Samtsessel saß, verfolgte sein Hin und Her mit unglücklichem Blick. Sie hatte ein anderes Kleid an, daran erkannte ich, daß es ein neuer Tag sein mußte. »Muß es denn wirklich sein?«
fragte sie mit gequälter Stimme, während John unablässig hin und her lief wie ein wildes Tier im Käfig. Sein Gesicht war finster und hart. Er sah in diesem Moment seinem Bruder Victor ähnlicher denn je.
»Ich habe keine Wahl«, erklärte er. »Es gibt keinen anderen Ausweg. «
»Könntest du dich ihnen nicht einfach stellen ? Ließe sich denn nicht irgendeine Einigung erreichen? Mußt du wirklich fliehen wie ein Dieb?«
Er wirbelte wütend herum. »Was soll ich denn tun ? Was schlägst du vor ? Soll ich vielleicht flennend zu diesen Kerlen laufen und um Gnade betteln ? Ach, Jenny, das ist eine geldgierige und erbarmungslose Bande. Denen ist mein Leben völlig gleichgültig. Sie wollen nur ihr Geld.«
»Dann laß Victor -«
»Nein!« donnerte er so aufgebracht, daß es uns beide erschreckte. »Ich nehme keine Almosen von meinem Bruder. Und gerade jetzt möchte ich überhaupt nichts mit ihm zu tun haben.«
»John, du glaubst doch nicht im Ernst -«
»Laß diesen Schurken aus dem Spiel. Nach dem, was er Harriet angetan hat, will ich nie wieder etwas mit ihm zu tun haben. Und was mich angeht, so werde ich verschwinden, weil das für mich die einzige Möglichkeit ist, meine Haut zu retten.«
»Dann gehe ich mit dir.«
»Nein, das wirst du nicht tun, Jenny«, entgegnete er in sanfterem Ton. »Du mußt hierbleiben und auf mich warten. Ich werde in einigen Tagen fort sein, aber ich kann nicht sagen, wohin ich gehen werde. Und ich kann dir auch nicht sagen, wann ich zurückkehren werde. Ich muß mich eine Weile versteckt halten, bis die Wellen sich glätten und ich ein paar Pfund zusammenkratzen kann. Dann komme ich zurück. Du wirst doch auf mich warten, Jenny, Liebste?« Sie sah ratlos zu ihm auf.
John fiel plötzlich vor ihr auf die Knie und umfaßte ihre Hände. »Ich liebe dich, Jenny, auch wenn du mich nicht liebst. Nein, sag nichts, laß mich weitersprechen. Ich habe über manches nachgedacht, und ich weiß jetzt, daß ich an vielem die Schuld trage, weil ich dich so sehr vernachlässigt habe. Und meine Schwester auch. Wenn sie zu mir gekommen wäre, anstatt zu Victor zu gehen...« John schüttelte den Kopf. »Ich will jetzt nicht daran denken. Es ist geschehen und nicht mehr zu ändern. Aber wir, Jenny, wir haben noch eine Chance. Ich werde verreisen, und ich weiß nicht, wie lange ich fortbleiben werde. Aber du wirst sehen, wenn ich zurückkomme, wird alles anders werden zwischen uns. Ich werde als ein andrer zurückkommen, ganz bestimmt. Ich werde diese gemeinen Kredithaie bezahlen und für immer die Finger vom Glücksspiel lassen. Du wirst es sehen, Jenny, meine Liebste.«
»Ach, John«, murmelte sie traurig. »Ich wollte, du müßtest nicht fort.«
»Aber ich muß, es ist nicht zu ändern. Aber mir wird nichts geschehen, weil niemand von meinen Plänen weiß. Ich werde einfach verschwinden. Denk daran, Jenny, es ist ein Geheimnis. Sie dürfen nichts davon erfahren, denn wenn sie etwas ahnen, ist mein Leben in Gefahr. Du verstehst doch, nicht wahr ? Im Augenblick bin ich ihnen eine Nasenlänge voraus.
Aber wenn diese Leute erfahren sollten, daß ich vorhabe zu verschwinden... ach, ich möchte gar
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