Haus der Erinnerungen
Schurken, auf und davongehen wirst. Jetzt, da er den Namen der Familie in den Schmutz gezogen hat, erkennst du ihn wohl endlich als den, der er wirklich ist.« Jennifer stand kerzengerade da und sah ihren Mann mit steinerner Miene an. Ich spürte die starre Kälte ihres Herzens. Sie durchdrang mich, wie Harriets Jammer mich durchdrungen hatte, und Fetzen trüber Gedanken erzählten mir vom Schmerz und Entsetzen über Victors vernichtenden Sturz.
Der Name Megan O'Hanrahan wehte bitter und schmerzhaft durch unsere Gedanken. Sie war es, die das Gerücht von Harriets Abtreibung ausgestreut und den Ruf Victors, der sie angeblich vorgenommen hatte, ruiniert hatte. Ich erinnerte mich mit Jennifer ihrer flehentlichen Bitten an ihn, die Behauptung zurückzuweisen, und ich erinnerte mich mit Jennifer seines beharrlichen Schweigens. Nicht ein einziges Wort hatte Victor zu seiner Verteidigung vorgebracht, während sich das Gerücht von der Abtreibung wie die Schwarze Pest in Warrington verbreitet hatte. In sehr kurzer Zeit war vom Ansehen Victor Townsends nichts mehr übrig gewesen.
Bilder von Mrs. Townsend stiegen auf, die vor Scham und Demütigung schwer krank geworden war und nun von ihrem Leiden an ihr Bett gefesselt war; Bilder von Mr. Townsend, der jeden Morgen stolz und hocherhobenen Hauptes den Weg zur Arbeit antrat und jeden Abend niedergedrückt wie ein geprügelter Hund heimkehrte.
Er hatte gehört, was hinter seinem Rücken getuschelt wurde, absichtlich so laut, daß er es nicht überhören konnte. Da, seht ihn euch an. Seine Tochter ist nicht mehr als eine gemeine Hure. Sein
ältester Sohn ist ein Engelmacher. Sein jüngster ist ein Trinker und Spieler.
»Du glaubst mir nicht, stimmt's?«
»Nein, ich glaube dir nicht.«
»Aber es ist wahr. Victor ging schnurstracks zu den Buchmachern und sagte ihnen, daß ich vorhabe, aus der Stadt zu verschwinden. Da sind sie natürlich prompt zu mir gekommen, haben mich bedroht und ihr Geld verlangt. Ich mußte sie mit einer Lüge abspeisen. Ich versprach ihnen, sie würden es gleich morgen bekommen. O ja, du kannst es mir glauben, das habe ich Victor zu verdanken. Er wollte mich für seinen eigenen Ruin büßen lassen. Er konnte die Vorstellung nicht ertragen, daß ich davonkommen sollte. Er allein kann es gewesen sein, denn niemand sonst wußte von meinen Plänen. Nur dir und ihm habe ich davon erzählt, und ich glaube doch nicht, daß meine eigene Frau mir die Meute auf den Hals hetzen würde - oder?« Jennifer antwortete nicht. Sie hörte in diesem Moment eine andere Stimme, Victors Stimme. Sie sah sich mit ihm im Salon. Er hatte eben die Hände von den Tasten des Klaviers genommen und sagte: »Er braucht einen Schock. Er muß gezwungen werden-«
Und sie erinnerte sich ihrer eigenen Worte - »Versprich mir, daß du John in Ruhe läßt« - Victors Antwort: »Wenn es dein Wunsch ist, verspreche ich es.«
John lächelte so siegessicher wie ein Kartenspieler, der weiß, daß er die Partie gewinnen wird. »Deine Augen sagen etwas anderes als dein Mund. Ich sehe es in deinem Gesicht, Jenny, daß von deiner Liebe zu Victor nichts übriggeblieben ist.« Doch was er in Wirklichkeit sah, war die tiefe Abscheu, die sie dieser Familie und dieser Stadt entgegenbrachte für das, was sie Victor angetan hatten. Sie hatten ihn verurteilt und verdammt, ohne ihm überhaupt eine Chance zur Verteidigung zu geben. Wenn du jemandem die Schuld an all diesem Unglück geben willst, sagten ihre Augen, dann gib sie Harriet, die sich in diese
Situation gebracht hat und dann alles noch Megan O'Hanrahan erzählen mußte. Was John Townsend im Gesicht seiner Frau sah, war bittere Ernüchterung. »Du solltest jetzt besser gehen, John.«
»Ja, Liebes, ich gehe. Aber glaub mir, ich komme zurück. Bald schon. Und mit Geld in der Tasche. Du wirst sehen.« Ich entdeckte einen Unterton beinahe freudiger Erregung in seiner Stimme und ein Blitzen von Abenteuerlust in seinen Augen. John Townsend hatte es endlich geschafft, der Fuchtel seines Vaters zu entkommen. Er riskierte dabei vielleicht Kopf und Kragen, und er ging in Schande, aber er tat endlich das, worum er Victor immer beneidet hatte: Er ging fort aus diesem Haus. »Dann wird es uns gutgehen, und wir werden in unserem eigenen Haus leben. Ich engagiere dir ein Dienstmädchen und lasse ein Telefon installieren.
Was sagst du dazu, Jenny, Liebes, ein Telefon !«
»Es ist spät John.«
Ohne ein weiteres Wort nahm er die Reisetasche, küßte Jennifer
Weitere Kostenlose Bücher