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Haus der Erinnerungen

Haus der Erinnerungen

Titel: Haus der Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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war, waren nur noch millimeterkurze, ungleichmäßig geschnittene Büschel übrig, die stachlig von ihrem Kopf abstanden. An manchen Stellen war das Haar so kurz, daß die nackte Kopfhaut durchschimmerte. Mit dem verschwollenen Gesicht, den rotgeränderten Augen und dem borstig wirkenden Haar sah Harriet beinahe aus wie der kleine Affe eines Drehorgelmanns.
    Ich bedauerte den Vergleich augenblicklich. Ich sah ja, wie gequält und unglücklich sie war, und sie tat mir in der Seele leid. Ich fragte mich, wer sie so grausam zugerichtet hatte und warum. »Ich hab's verdient«, flüstert sie weinend vor dem Spiegel. »Ich hab's verdient. Er hatte alles Recht dazu, nach dem, was ich ihm angetan habe. O Gott - er hatte das Recht dazu.« Nicht fähig, den eigenen Anblick länger zu ertragen, rannte Harriet vom Spiegel zum Sofa zurück, warf sich erneut darauf nieder und begann wieder zu schluchzen.
    Ich dachte an das unschuldige und sensible Kind, das sie gewesen war, und hatte nur den Wunsch, sie zu trösten, ihr irgendwie zu helfen. Ohne Überlegung sagte ich: »Harriet, was ist denn geschehen?« Und sie riß den Kopf in die Höhe und starrte mich an.

    15

    Nun war es also endlich soweit! Das, was ich gehofft und gefürchtet hatte, war eingetreten: Die Verbindung zur Vergangenheit war hergestellt.
    War dies der Grund, weshalb ich in diesen Ablauf der Ereignisse hineingezogen worden war? War dies der Zweck, den ich zu erfüllen hatte? Es war, als hätten sich plötzlich die Wolken gelichtet und die Sonne träte hervor.
    Bei meinen Worten hatte Harriet zu weinen aufgehört und aufgeblickt. Ihr Gesicht war erschrocken gewesen, als hätte sie sich ertappt gefühlt. Und doch hatte sie mich anscheinend nicht wirklich gesehen. Sie hatte mit zusammengekniffenen Augen in meine Richtung geblickt, als versuchte sie, etwas zu erkennen, und dann hatte ihr Gesicht sich entspannt. Was war ich in diesem Moment für sie gewesen? Eine optische Täuschung, durch einen Lichtreflex hervorgerufen? Ein Schatten an der Wand? Was hatte Harriet gesehen, als sie den Kopf gehoben und zu mir herübergeblickt hatte?
    Viel konnte es nicht gewesen sein. Nachdem sie einen Moment lang wie fragend den Kopf zur Seite geneigt hatte, hatte sie ihn wieder auf ihre Arme gesenkt und weitergeweint.
    Doch es blieb die Tatsache bestehen, daß sie mich gehört hatte. Ich hatte ihren Namen gerufen, und sie hatte mich gehört. Und dann hatte sie etwas gesehen - drüben, an der offenen Tür. Meiner Meinung nach konnte das nur eines bedeuten: daß das Zeitfenster größer wurde; daß nun auch der letzte der Sinne - der Tastsinn - miteinbezogen wurde und die Möglichkeit der Berührung gegeben war.
    Ich kehrte ins Wohnzimmer zurück und ließ die Ereignisse der anderthalb Wochen, die ich nun in Großmutters Haus lebte, in mir Revue passieren. Ich erinnerte mich meiner ersten ›Begegnungen‹. ›Für Elise‹ vor dem Hintergrund der Dudelsäcke. Victor am Fenster.
    Es ergab eindeutig ein Muster. Erst das Gehör. Dann das Gesicht. Dann der Geruch. Dann vage körperliche Empfindungen wie zum Beispiel Kälte oder ein Gefühl der Nähe, wenn einer von ihnen an mir vorüberging. Und heute abend schließlich hatte Jennifers Hand meinen Fuß berührt. Wir kamen in Kontakt.
    Und mit dem Kontakt würde die Verbindung kommen. Hatte nicht Victor sich einmal umgedreht, als ich ihn beim Namen gerufen hatte? Und jetzt Harriet. Harriet hatte augenblicklich reagiert, als ich sie angesprochen hatte.
    Es war also soweit. Für mich gab es jetzt keinen Zweifel mehr daran, daß ich bald in der Lage sein würde, mit ihnen zu sprechen, mich ihnen bemerkbar zu machen, ihnen sichtbar zu werden. Darauf also hatte alles hingeführt, auf diesen letzten Moment, da ich wirklich zu ihnen gehören würde.
    Aber wozu? Aus welchem Grund? Sollte ich in diesem Drama der Vergangenheit eine aktive Rolle spielen? War ich dazu bestimmt, irgendwie einzugreifen?
    Das mußte es sein. Eine andere Erklärung fiel mir nicht ein. Aus irgendeinem Grund war ich auserkoren worden, im Familiendrama der Townsends eine Rolle zu übernehmen.
    Während ich mich mit Fragen herumschlug, auf die ich bei mir keine Antworten finden konnte, rannte ich im Wohnzimmer umher wie in Raserei. Ich war enttäuscht über meinen Mangel an Wissen und Verständnis, zornig, daß ich nicht klar und deutlich erkennen konnte, worauf alles hinauslief.
    Ich ging in die Küche, schenkte mir ein großes Glas von Großmutters Kirschlikör ein und

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