Haus der Lügen - 8
mittlerweile verlorenen darunter liegenden Stengenmasten gebunden gewesen, nachdem man sie niedergeholt hatte. Zusammen mit dem anderen Gut waren sie über Bord gegangen. Also mussten auch sie ersetzt werden. Das würde nicht nur zusätzliche Zeit in Anspruch nehmen, nein: So viele Ersatz-Stengen führte die Dancer überhaupt nicht mit. Alles, was sie zu tun vermochten, war lediglich ein Notbehelf. Erst auf der Klaueninsel könnte man das Schiff anständig reparieren.
Sieht ganz so aus, als würden uns einige der gut gefüllten Küstenboote mit Schiffsbedarf, die du zur Klaueninsel geschickt hast, doch noch recht nützlich werden , dachte er mit einer gewissen Erleichterung. Die Vorstellung, zur Reparatur des eigenen Schiffes Stengen und Spieren zu nutzen, die eigentlich für die Royal Dohlaran Navy gedacht waren, sagte ihm wirklich zu.
Die Dancer war nicht die einzige Galeone, die Schaden an der Takelage genommen hatte. Es war nicht überraschend, dass das Geschwader bei diesem Sturm versprengt worden war. Im Augenblick konnte Manthyr nur sechs der Schiffe ausmachen, und vier davon hatten ebenfalls Spieren, Segel oder Masten verloren. HMS Klippenstraße hatte sogar den gesamten Fockmast eingebüßt, und auf ihren Decks herrschte hektisches Treiben, weil ihr Captain angeordnet hatte, einen Ersatz zu improvisieren. Vom Achterdeck der Dancer aus betrachtet sah es so aus, als würde dafür eine Ersatz-Großrahe herhalten müssen. Die sollte zumindest lang genug funktionieren, bis man, ›daheim‹ in der Bucht des Elends, einen richtigen Mast aufrichten könnte.
Aber das nach Manthyrs Meinung größte Wunder war, dass HMS Messenger , der kleinste der Schoner, die zum Geschwader gehörten, nicht nur den Sturm unbeschadet überstanden, sondern anschließend auch noch das Flaggschiff wiedergefunden hatte. Wie genau Lieutenant Commander Grahzaial diese beiden Wundertaten vollbracht hatte, konnte der Admiral im Augenblick noch nicht einmal erahnen. Aber es bestätigte nur seine ohnehin schon hohe Meinung über Grahzaials seemännisches Geschick.
Dieser junge Mann wird schon sehr bald größere Aufgaben zugeteilt bekommen , dachte Manthyr. Doch dann zuckten seine Mundwinkel. Natürlich wird es ihm an Anfang nicht gerade ›größer‹ vorkommen, etwas so Schnittiges und Flottes wie die Messenger gegen eine große, schwerfällige Galeone eintauschen zu müssen. Nun, irgendwann wird er auch darüber hinwegkommen!
Im Augenblick lag die Messenger weit östlich und behielt aufmerksam den Horizont im Auge. Manthyr wusste immer noch nicht, wie tief in den Golf von Dohlar der Sturm das Geschwader gedrückt hatte. Aber er vermutete, dass sie im Augenblick nur ein Stück weit östlich der Harchong-Meerenge standen, der etwa vierhundertundfünfzig Meilen langen Strecke zwischen dem Samuel-Kap der Provinz Stene im Norden und der Nordküste von Kyznetsov im Süden. Damit war er beinahe zwölfhundert Meilen von der Klaueninsel entfernt. Mit anderen Worten: dank der Schäden an der Takelage würden sich seine Schiffe nervenzerreißend lange über den Ozean schleppen dürfen. Allerdings rechnete Manthyr auch nicht damit, dass sich allzu bald die gesamte Dohlaran Navy auf ihn stürzen würde. Dieser Sturm hatte seinen eigenen erfahrenen, bestens ausgebildeten und widerstandsfähigen Matrosen schwer zu schaffen gemacht. Sich vorzustellen, wie es einer weniger erfahrenen Flotte dabei ergangen wäre, wollte Manthyr lieber nicht. Sollten Graf Thirsk und seine Galeonen tatsächlich in diesen Sturm geraten sein, konnten sie von Glück reden, wenn sie nicht ganze Schiffe verloren hatten, von einzelnen Masten oder Rundhölzern nicht zu reden!
Manthyr trat einen Schritt zur Seite, als Lieutenant Yairman Seasmoke, der First Lieutenant der Dancer , sich zusammen mit dem Bootsmann daran machte, den Ersatz für die verlorenen Kreuzstenge in die Höhe zu wuchten. Mahgail verwendete dafür eine Vor stenge, die ein wenig länger war als das, was sie ersetzen sollte, dafür aber den gleichen Durchmesser hatte. Also sollte sie auch in das Eselshaupt passen, sobald sie erst einmal oben wäre. Den geborstenen Überrest der ursprünglichen Stenge hatte man bereits auf Deck abgelassen, und die Rahen, die Fallen und die Taljen der Doppelung waren schon vorbereitet. Jetzt legten sich die Männer, die für das Emporwuchten eingeteilt waren, ins Zeug, und die Ersatzstenge glitt Stück für Stück in die Höhe, gehalten durch das Reep, das am Mastfuß eingeschert
Weitere Kostenlose Bücher