Haus der Lügen - 8
genauso verhalten hat, wie von Cayleb vorhergesagt, und damit dem Kaiser einen völlig unzweideutigen Grund geliefert hat, ihn endlich abzusetzen, lautet die Frage: Wen werden Cayleb und Sharleyan an seine Stelle setzen?«
»Mir fallen da spontan gleich mehrere geeignete Kandidaten ein«, erwiderte Gray Harbor. »Aber im Augenblick denke ich, mein Wunschkandidat wäre Hauwyl Chermyn.«
Erstaunt kniff Merlin die Augen zusammen – und schalt sich sogleich selbst dafür. Chermyn war in etwa der unpolitischste Mensch, den er sich vorstellen konnte, und ganz gewiss hatte der derzeitige Vizekönig-General nicht allzu viel Erfahrung mit höfischer Politik. Oder vielmehr: Früher hatte er sie nicht gehabt. Angesichts der Pflichten, die er derzeit in Corisande erfüllte, war das längst nicht mehr der Fall. Wenn man zudem beachtete, wie gut Chermyn diese Pflichten erfüllte, war er tatsächlich ein logischer Kandidat für die Nachfolge Zebediahs. Seine bisherigen Leistungen in Corisande empfahlen ihn ebenso dafür. Seine reichlich gesammelte Erfahrung darin, Charis’ Autorität in Corisande durchzusetzen, würde ihm gute Dienste leisten, selbiges auch in Zebediah zu schaffen.
Chermyns Erfolge in Corisande werden jeden Zebediahner, der in Erwägung zieht, diesem ›Fremden‹ Widerstand zu leisten, zweifellos dazu bewegen, sich das zweimal zu überlegen. Oder auch drei- oder viermal!
»Das halte ich sogar für eine ausgezeichnete Idee, Mein Lord«, antwortete Merlin schließlich. Dann lachte er. »Natürlich wird Hauwyl augenblicklich in Erwägung ziehen, sich selbst die Kehle durchzuschneiden, wenn Cayleb und Sharleyan ihn als neuen Großherzog nominieren!«
»Wunschvorstellungen, die er nicht in die Tat umsetzen wird!«, warf Gray Harbor ein. »Nach dem ersten Schock wird er sich rasch mit der neuen Aufgabe arrangieren und damit, in den Hochadel aufzusteigen – und entsprechend wohlhabend zu werden.«
»Und zu wissen, dass sich Zebediah in der Hand von jemandem befindet, dem Cayleb und Sharleyan unbedingtes Vertrauen schenken können, wird ihm die Entscheidung gewiss erleichtern.«
»Genau«, bekräftigte Gray Harbor.
Mit den Fingerspitzen trommelte der Graf auf die Tischplatte, blickte ins Leere und dachte ganz offenkundig über die Lage in Corisande und Zebediah nach. Dann riss er sich zusammen.
»Auf die Gefahr hin, damit das Schicksal herauszufordern, muss ich sagen, dass es allmählich ein wenig besser aussieht«, sagte er. »Gewiss, die Sache mit Manthyr ist furchtbar. Aber politisch betrachtet war das ein richtig guter Monat. Anvil Rock und Hauwyl zerlegen gerade die einzige ernst zu nehmende, organisierte Verschwörung in Corisande. Zebediah wird in Carmyn schon bald gehängt, ob er das nun schon weiß oder nicht. Swayle und seiner kleinen Freundesschar steht in Corisande das gleiche Schicksal bevor, und unser Freund Gorjah hat die Bedingungen Ihrer Majestäten, in das Kaiserreich eingegliedert zu werden, praktisch schon akzeptiert.«
Bedächtig nickte er und blickte dann wieder Merlin an.
»Wenn wir auch noch Tarot im Griff haben, sind die natürlichen Grenzen des Reiches gesichert«, sagte er, und seiner Stimme war deutliche Befriedigung – oder Erleichterung – anzumerken. »Ich glaube nicht, dass Clyntahn und Trynair darüber allzu erfreut sein werden!«
»Nein«, gab Merlin ihm Recht, »das wohl nicht.«
.IV.
Der Tempel, Stadt Zion, die Tempel-Lande
»Also gut, Zhaspahr! Da wir jetzt alle hier sind: Warum sagen Sie uns nicht endlich, worum es eigentlich geht?«
Zahmsyn Trynair hoffte, angemessen scharf geklungen zu haben. Im Laufe der letzten Monate kam er sich mehr und mehr vor wie ein Dompteur, der sich auf menschenfressende Ungeheuer spezialisiert hatte. Wie bei einem Dompteur schien es ihm ratsam, keinerlei Furcht zu zeigen. Es galt, Clyntahn hin und wieder daran zu erinnern, dass nicht nur er im Tempel auf eine Machtbasis zurückgreifen konnte. Zudem galt es überzeugt davon zu wirken, er, Trynair, habe die Hierarchie des Tempels fest im Griff.
Ob das gelang, stand auf einem anderen Blatt.
»Eigentlich, Zahmsyn, hatte ich gehofft, Sie könnten mir vielleicht ein beunruhigendes Gerücht erklären, das mir letztlich zu Ohren gekommen ist«, gab Clyntahn zurück. Sein Tonfall klang gefährlich leutselig.
»Was für ein Gerücht?«, fragte Trynair vorsichtig nach.
»Na ja, mir ist schon bewusst, dass Sie als Kanzler für die Diplomatie von Mutter Kirche verantwortlich sind. Aber laut
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