Haus der roten Dämonen
vor Schreck, konnte jedoch den Blick nicht abwenden. Aus großen Folianten bildeten sich Beine, deren Kniegelenke aus schmalen Quartbänden bestanden. Ein ganzer Packen zusammengeschnürter Buchblöcke, die noch nicht gebunden waren, fügte sich zu einem Oberkörper zusammen, und schließlich flatterten wie unruhige Schmetterlinge wenige handtellergroße Bücher darauf und formten ein Gesicht, dessen Mitte ein Tintenfass mit Feder bildete, das Nase und Nasenwurzel darstellte. Gerollte Manuskripte wurden zu Armen und unzählige Federkiele fanden sich zu Fingern zusammen. Das Buchwesen formte sich lautlos und in einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Bevor Julia ihre Hand vor den Mund legen konnte, um den Schrei zu dämpfen, der sich aus ihr herauspresste, machte das Wesen bereits einen bedrohlichen Schritt auf sie zu.
»Mein Gott, mein Gott, mein Gott!«, konnte sie nur stammeln.
Das Buchwesen hob einen Arm und holte zum Schlag aus, als Messer Arcimboldo aus dem Nebenraum zurückkehrte.
»Oh!«, sagte er nur. Er schnippte mit dem Finger, sagte »Muta! Verändere dich!«, und beinahe sofort zerfiel das
Ungeheuer in seine Buchbestandteile, die sich dann flink und sauber wieder ins Regal einordneten.
»Tut mir leid, Kind«, murmelte Messer Arcimboldo. »Mein Leibwächter. Er wollte mich nur beschützen. Zurzeit reagiert er ein wenig … nervös.«
»Hätte er mich … angegriffen?« Julias Mund war wie ausgetrocknet. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie nur durch den Mund geatmet hatte.
»Nun ja«, gab der Maler freimütig zu, »er hätte dich vermutlich erschlagen.« Verlegen sah er zu Julia hin, dann hob er zwei Tiegel in die Höhe, die er anschließend in eine Hosentasche schob. »Arcanum splendidum!«, sagte er lächelnd.
Jan konnte sich nicht im Zaum halten und schlug zu. Sein Handrücken klatschte in das feiste Gesicht des Bildhauers.
»Was wisst Ihr über meine Mutter?«, zischte Jan.
»Was jeder weiß. Dass sie die Hure deines Messers Arcimboldo gewesen ist.«
Jan verschlug es die Sprache. Noch ehe er ganz begriff, was der Bildhauer da gesagt hatte, hatte seine Hand ein zweites Mal zugeschlagen. In seinen Ohren rauschte das Blut so laut, dass er kurze Zeit gar nichts hörte.
»… bist du ein Bastard.« Erst das war der nächste Satz, der sein Gehör wieder durchdrang und ihm ins Bewusstsein schnitt. Aus Messer Monts Nase floss ein schwaches Rinnsal von Blut.
»Das ist nicht wahr«, flüsterte Jan.
Messer Mont grinste. Offenbar bereitete es ihm Freude, Jan zu quälen.
»Es war dein Herr und Meister, der deine Mutter der Hexerei angezeigt hat, nachdem sie einen Bankert von ihm empfangen hatte. Niemand anders.«
Erneut brausten in Jans Kopf die Sätze und verhinderten einen vernünftigen Gedanken.
»Lass dich von dem Kerl nicht ins Bockshorn jagen, Junge.« Jakub schaltete sich ein. »Siehst du denn nicht, dass dich der Kerl nur benutzt? Dass er dich gegen Messer Arcimboldo aufhetzen will?«
Jan nickte langsam. Natürlich konnte es sein, dass das alles nicht stimmte. Was aber, wenn Messer Mont recht hatte? Er musste die düsteren Gedanken aus seinem Kopf verbannen. Jetzt galt es, Wichtigeres zu tun.
»Ihr lügt, Messer Mont«, stieß Jan hervor. »Und Ihr werdet dafür büßen.«
Julia und der Maler stiegen zusammen die Treppe hinab und in den Vorraum. Messer Arcimboldo warf sich eine Schaube um, einen weiten, faltigen und vorne offnen Rock nach der neuesten Mode, und trat mit Julia auf die Straße. Kurz bevor die Tür in die Angeln fiel, huschte wie ein Blitz der Kater aus dem Haus. Der Maler schien davon nichts bemerkt zu haben. Das Tier drückte sich in einen Hauseingang gegenüber und machte einen Buckel. Julia, die ihm hinterhergesehen hatte, glaubte, er habe ihr zugezwinkert. Sie folgte dem Maler in zwei Fuß Abstand. So liefen sie die Straße entlang zum Hradschin hinauf. Überall waren Barrieren errichtet worden. Erstaunt registrierte Messer Arcimboldo die Soldaten und die Wegsperren und nickte nur immer mit einem bitteren Gesichtsausdruck. »Die letzte Nacht hat ihnen zugesetzt«, murmelte er.
Die allermeisten Soldaten kannten den Maler und grüßten ihn. Ein Wort genügte und Julia wurde als seine Begleiterin akzeptiert und ebenfalls durchgelassen. Unbehelligt betraten sie den ersten Burghof, durchquerten den Bogen zum zweiten, liefen vorbei an den Brunnen dort und betraten
den Vorplatz zum Veitdom. Gewaltig ragte die Kirche vor ihnen empor. Doch Messer Arcimboldo hatte
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