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Haus der roten Dämonen

Titel: Haus der roten Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Dempf
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sich sofort umgedreht und wäre davongelaufen, doch in diesem Moment schloss sich hinter ihr die Tür wie von Geisterhand. Julia schrie kurz laut auf, so sehr erschrak sie.
    »Keine Angst, das war nur ein Taschenspielertrick. Schau her!« Judah Löw winkte Julia heran, die schon aus Angst gehorchte. Er deutete auf seine linke Hand. Diese hielt einen Griff fest, der eine Kordel bediente. Diese Kordel zog über eine Seilverbindung an der Tür.
    Judah Löw grinste wieder breit, als würden ihm all diese
Spielereien eine diebische Freude bereiten. Er führte Julia in einen Raum mit einem Tisch, hinter dem ein Sessel stand. Daneben lehnte ein Lesepult an der Wand, bekrönt mit zwei großen Flusskieseln. Auf dem Tisch stand eine Schale mit frisch duftendem Gebäck. Vor dem Tisch befand sich ein Hocker. Rechts führte eine Tür nach irgendwohin, links wurde ein Teil der Wand durch einen schweren dunkelgrünen Samtvorhang abgedeckt. Vermutlich der Zugang zum Schlafraum oder zu einem anderen Zimmer im Haus. Nachdem Judah Löw sich gesetzt hatte, ermunterte er Julia, ihr Anliegen vorzubringen.
    »So, jetzt darfst du Rabbi Löw den Wein geben und dir von dem Gebäck dort nehmen. Dann erzählst du mir haarklein, was du heute im Vladislav-Saal gesehen hast. Du lässt nichts aus, hörst du, nichts und niemanden.« Der Rabbi war plötzlich sehr ernst geworden.
    »Woher wisst Ihr, was ich Euch erzählen werde. Woher wisst Ihr überhaupt, dass ich Euch etwas erzählen werde?«
    Julia fühlte, wie sie rot geworden war, als der Rabbi sie ermahnt hatte, nichts und niemanden auszulassen. Diese Anspielung schwemmte einen ganzen Schwall Hitze in ihr Gesicht. Sie musste aussehen wie diese rötlichen Purpurwesen – und sie hasste sich dafür.
    Löw schnaubte ungeduldig durch die Nase. »Du wirst es erzählen, weil du nicht weißt, was du wirklich gesehen hast. Du wirst es erzählen, weil ich dir sagen kann, was genau das war – falls du nichts auslässt. Du wirst es erzählen, weil …« Er unterbrach sich, sah sie forschend an und lächelte. Den Satz führte er jedoch nicht zu Ende. »Die Menschen leben nur eine kurze Zeitspanne, sodass ihnen bestimmte Veränderungen nicht auffallen. Wenn man aber zweihundert, dreihundert oder mehr Jahre Zeit hat, begegnet man vielen Ereignissen. Setz dich also, Julia, und erzähl!«

    Julia war sich sicher, niemals ihren Namen erwähnt zu haben. Ein kalter Schauer lief ihr über die Arme und den Rücken. Was erzählte der Jude da? Viele hundert Jahre? Sollte das bedeuten, dass Judah Löw älter war, als er aussah, viel älter sogar?
    Vorsichtig nahm sie Platz. Sie getraute sich nicht, sich ganz auf den Hocker zu setzen, sondern glitt so weit nach vorne, wie es ging, ohne abzurutschen.
    Ihr war inzwischen klar, dass Rabbi Löw ihr am Flussufer entgegengekommen war, weil er von ihrem Besuch gewusst hatte. Also versuchte sie, möglichst nichts auszulassen, und berichtete von dem Auftrag, das Bier ins Schloss zu bringen, von den Vorbereitungen, vom Nachschenken, von der Chimäre – und dabei kam ihr natürlich Jan in den Sinn. Aber von dem Jungen schwieg sie. Sie wollte sich schließlich keine Blöße geben. Dazu hatte er ihr zu gut gefallen.
    »Beschreib das Tier genau. So genau, wie du es dir vorstellen kannst, Kind. Das ist wichtig.«
    Julia ließ nichts aus. Sie hatte das Gefühl, als erlebe sie in ihrem Kopf den Vormittag noch einmal mit all ihrer Furcht.
    Als sie geendet hatte, herrschte Schweigen. Julia blickte dorthin, wo Rabbi Löw saß. Der hatte die Augen geschlossen und die Hände vor dem Bauch gefaltet. Hatte der alte Mann womöglich geschlafen? Wut stieg in Julia auf. Da war sie hierhergekommen, um dem Rabbi alles zu erzählen, da versetzte sie sich in das schlimme Erlebnis zurück, um ja nichts auszulassen – und dann schlief der Kerl. Es fehlte nur noch, dass er anfing zu schnarchen.
    »Ich schlafe nicht, ich denke nach«, vernahm sie plötzlich die Stimme des Rabbi. Seine Lider flackerten und öffneten sich dann. Er beugte sich vor und legte beide Arme auf den Tisch. »Bist du dir sicher, das alles gesehen zu haben, was du mir da erzählt hast? Da ist nichts hinzugedichtet, vergrößert,
ausgeschmückt, zurechtgeschwindelt – oder gar weggelassen?«
    Julia zog einen Schmollmund. Was glaubte der Kerl? Rabbi hin oder her. »Nein!«, sagte sie kurz und bestimmt, aber mit einem leichten Unbehagen, des Jungen wegen, den sie mit keiner Silbe erwähnt hatte. Wenn der Rabbi nicht nachfragte,

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