Haus der roten Dämonen
würde sie den Teufel tun und von diesem Rotzlöffel von Jungen erzählen. Wie käme sie auch dazu?
»Es ist eigentlich unmöglich. Niemand kennt mehr die Zusammensetzung … Das Wissen ist seit Theodorus Philetas verschollen.« Er sprach mehr zu sich selbst als zu Julia. »Seit Jahrhunderten suchen die Alchemisten nach der Lösung des Rätsels und ein Pinselschwinger aus Mailand soll sie gefunden haben? Unmöglich …« Er murmelte noch Unverständliches vor sich hin und rieb sich die Schläfen. Plötzlich blickte er auf und sah Julia an. »Außer … er hat einen anderen Weg genommen … aber Menschen mit dieser Begabung werden nur alle … fünfhundert, vielleicht vierhundert Jahre geboren. Der Letzte war ein Meister Leonardo aus Vinci …«
Mit einer Schnelligkeit, die Julia verblüffte, erhob sich Rabbi Löw und trat an den schweren Samtvorhang. Julia hatte zuerst geglaubt, dahinter einen weiteren Wohnraum oder das Bett des Geistlichen zu finden. Doch als er den schweren Samt beiseiteschob, gab der den Blick auf ein Regal mit einer Sammlung uralter Bücher frei. Die braunen, in Leder eingeschlagenen Rücken waren rissig. Manche zeigten Alterserscheinungen, wie sie nur langer Gebrauch in Einbände eingräbt: Brandspuren, Tinten- und Wasserflecken. Judah Löws Zeigefinger glitt die Buchrücken entlang. Schließlich stoppte er bei einem Werk mit einem Einband aus Holz, das jedoch helle Ledereinsätze aufwies. Als Löw es herauszog, stellte Julia fest, dass es mit einer eisernen Kette am Regal oder der hinteren Wand befestigt war.
Amüsiert verfolgte der Rabbi Julias Blick. »Man muss es anketten, sonst stellt das Necronomicon nur Unsinn an. Gefährlichen Unsinn.«
Julias Mund blieb offen stehen. Ein Buch, das Unsinn anstellte? Wie sollte denn das gehen?
Rabbi Löw legte es auf den Tisch. Drei schwere eiserne Schnallen hielten den Buchblock zusammen.
Julia kannte Bücher und wusste, dass sie gefährliche Dinge enthalten konnten. Sie wusste auch, dass vor allem wertvolle Werke besonders geschützt wurden. Doch Frauen durften nur selten lesen und schreiben lernen und noch seltener die Bibliotheken besuchen. Wenn sie es genau nahm, eigentlich gar nicht. Ein Buch, das gefährlichen Unsinn anstellte, konnte sie sich nicht vorstellen.
Judah Löw öffnete nun die beiden äußersten Schnallen. Dann, ganz vorsichtig, die mittlere. Zuerst geschah gar nichts. Das Buch lag da, wie Bücher eben daliegen, wenn sie lange nicht geöffnet werden. Julia glaubte schon, der Rabbi hätte sie an der Nase herumgeführt, als der Foliant leise knarzte und eine Art Stöhnen ausstieß. Doch dann flog der schwere hölzerne Deckel des Buches auf, und die Buchseiten wurden plötzlich wie rasend umgeblättert, ohne dass jemand sie berührte. Ein Windstoß traf Julias Haar und wehte es ihr aus dem Gesicht. Unwillkürlich rückte sie vom Tisch weg. Wäre der Stuhl nicht so schwer gewesen, sie wäre mit ihm nach hinten umgestürzt.
Rabbi Löw stand über das Buch gebeugt, murmelte unverständliche Worte, die Hände beschwörend über den Seiten, als würde er mitlesen und auf die richtige Seite warten. Blitzschnell fuhren seine beiden Hände zwischen die wirbelnden Seiten und drückten sie nieder. »Jetzt reicht’s!«, zischte er. »Genug. Ich brauche einen Eintrag, und zwar rasch!«
Julia wusste nicht, was sie davon halten sollte. Unsicher blickte sie vom Buch zum Rabbi und wieder zurück. Es war ihr unheimlich und am liebsten wäre sie sofort aufgestanden und gegangen.
Das Buch gab eine Art Knurren von sich, als wollte es zubeißen.
»Gib mir die beiden Steine vom Lesepult«, bat der Rabbi, »bevor mich das Necronomicon beißt.« Er deutete mit dem Kinn auf die zwei Flusskiesel, die je etwa zwei Fäuste groß waren. »Leg sie auf die Seiten! Schnell, ich kann das Buch nicht mehr lange halten.«
9
Im Vertrauen
D ie Glocken der Stadt begannen ein mehrstimmiges Lied, in das nach und nach alle Schlagwerke einfielen. Nur eine Stimme fehlte. Jan lauschte und dachte daran, dass die Glocke des Rathauses mit seiner astronomischen Uhr den Chor der Glockenstimmen hätte anführen müssen, was jedoch nicht möglich war, da sie ja seit einigen Tagen stillstand. Vielleicht stockte deshalb die Zeit ein wenig, vielleicht gelang es ihm deshalb, seinen eigenen Schritt zu beschleunigen. Jedenfalls holte Jan die beiden Männer ein, kurz bevor diese das Haus erreichten. Er hielt Abstand und beobachtete den hochgewachsenen Maler und den eher humpelnden
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