Haus der roten Dämonen
Jan am Arm, um anzudeuten, er solle mit dem Mörsern aufhören.
Jan tat ohnehin die Schulter weh. Der Lapislazuli war zu einem bröseligen weißen Pulver zerrieben, das noch zu grob war, um auf eine Leinwand aufgetragen zu werden. Er hätte mindestens noch eine Viertelstunde weiterarbeiten müssen.
Mit einem Kopfnicken bedeutete Contrario Jan, er solle ihm folgen. Sie durchquerten den Raum und erreichten eine Tür, die nach Jans Verständnis des Hausgrundrisses auf die Rückseite schauen musste. Als sie den Raum betraten, war Jan erstaunt. Sie standen in Contrarios Arbeitszimmer. Er kannte es aus der Perspektive der Sehschlitze. Es war so groß wie das seine und ebenso karg eingerichtet, ausgestattet allerdings mit einigen Besonderheiten.
Jan musterte die Wand, von der er vermutete, dass er durch sie hindurch den Adlatus hatte beobachten können. Nichts war zu sehen. Keine dunklen Flecken, keine Schlitze. Es war eine glatte weiße, saubere Wand.
Neben dem Bett stand ein Tisch mit einer Schale voller Zeichenkohle und einem Krug mit Pinseln, die ihre Borsten in die Luft reckten. Das Zimmer wurde jedoch beherrscht von einer Staffelei und darauf standen Papierkartons.
»Vorzeichnungen für eine Seidentapete des Rathauses«, knurrte Contrario unwillig. »Die Arbeit eines Adlatus eben.« Verächtlich spuckte er in die Ecke. Doch dann setzte
der Gehilfe eine verschwörerische Miene auf, hob die Kartons weg, und dahinter kam eine jungfräuliche Leinwand zutage, die Jan sofort ein Unwohlsein einpflanzte. Sie baute sich vor ihm auf und teilte das Zimmer in zwei unterschiedlich große Hälften. Am liebsten hätte er den Unterricht abgebrochen, noch bevor er begonnen hatte. Er kannte die Leinwand nämlich. Am unteren rechten Rand des Spannrahmens blühten drei Tropfenblumen, die sich in den feuchten Grund gefressen hatten: das Ergebnis des Schnitts mit dem Papierbogen, an dem sich Messer Arcimboldo verletzt hatte.
»Die Leinwand ist … verschmutzt«, wagte Jan festzustellen.
Contrario fuhr herum und musterte ihn mit vor Zorn ganz kleinen Augen. »Willst du damit andeuten, dass ich nicht in der Lage bin, die paar wenigen Flecken zu übermalen? Dass meine Farbe womöglich nicht ausreichend auf den Flecken haftet, weil meine Pigmente zu grob gearbeitet sind?«
Jan schüttelte heftig den Kopf. So war das alles nicht gemeint gewesen. »Was sollen wir zuerst malen?«, hörte er sich fragen – und gleichzeitig überlegte er, wo die andere Leinwand geblieben war, die zuvor auf der Staffelei gestanden hatte. Die Leinwand, an der Contrario gemalt hatte, als er ihn beobachtet hatte. Er wusste, dass er darauf eine Antwort finden musste.
»Was sollst du zuerst malen, muss es heißen.« Contrarios Stimme riss ihn aus seinen Überlegungen. »Stell dir ein Tier vor, das im Festzug des Kaisers mitlaufen soll: mächtig und gefährlich. Es soll die Menschen erschrecken und gleichzeitig sollen sie es bewundern; sie sollen ihren Kaiser dafür bestaunen, dass er ein solches Wesen beherrschen kann, und sie sollen Gott dafür fürchten, der zuließ, dass man es erschaffen hat.«
Der Adlatus grinste über das ganze Gesicht. Jans Mund klappte auf. Was sollte er machen? Ein Ungeheuer malen?
»Aber …«, versuchte Jan sich zu wehren, »das kann ich nicht!«
»Papperlapapp. Kann nicht, will nicht, darf nicht gibt es nicht im Hause Messer Arcimboldos. Nimm die Kohle und fang an. Jeder kann malen. Jeder!«
Das letzte Wort betonte der verwachsene Kerl und schielte dabei schräg nach oben. Es war nicht für Jan gedacht gewesen, es war zu seinem Meister gesprochen.
Jan zog einen Pinsel aus einem Büschel von Pinseln, die mit dem Stiel nach unten in einem Tonkrug steckten, und überlegte, was er malen sollte, doch Contrario kam ihm zuvor.
»Keinen Pinsel, sondern Kohle! Du musst vorzeichnen. Skizzieren. Also los! Zeichne, was dir einfällt.«
Jan steckte den Pinsel zurück und griff sich ein Stück Holzkohle aus der Schale daneben.
Die ganze Zeit, in der Jan auf dem Malerstuhl hin und her rutschte, sah Contrario zum Fenster hinaus und betrachtete das Bild, das dort auf dem Rasen lag. Jan konnte von seinem Platz aus den zerbrochenen Rahmen erkennen. Er konnte erkennen, wie im Gesicht des Adlatus die Kiefer mahlten. Offenbar hatte ihn diese Tat seines Meisters verstört und wirkte stark in ihm nach.
Jan riss sich von der vernichteten Leinwand und vom Adlatus los und dachte kurz über eine Gestalt nach, die er zeichnen wollte. Dabei überließ
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