Haus der Sünde
noch näher an sich heranzubringen, bis sie auf ihr zu liegen kam. »Später.«
Viel später, dachte Melody und küsste sie.
Viel später – sogar mehrere Tage später – war es Claudia nicht gelungen, Melody dazu zu überreden, sie und Paul auf Beatrices Party zu begleiten. Sonst gab es kaum etwas, wozu sich Melody von ihren beiden Freunden nicht breitschlagen ließ – und auch nur sehr wenig, was Melody ihr und Paul nicht selbst vorgeschlagen hatte. Doch was Partys und das Treffen mit anderen Leuten betraf, ließ sich die junge Frau von ihrem Entschluss nicht abbringen.
»Es gibt nichts, was ich noch sagen kann, um ihre Meinung zu ändern«, erklärte Claudia ihrem Fremdling, während sie sein gereinigtes Kostüm aus der Zeit Edwards VII. begutachtete. Es lag sauber und frisch gebügelt auf ihrem Bett. Damit Paul nicht auch noch in letzter Minute abspringen konnte, achtete sie mit peinlicher Sorgfalt darauf, dass er sich rechtzeitig umkleidete. Er verstand zwar, warum ein solches Fest seinem Gedächtnis wieder auf die Sprünge helfen konnte, doch seine Begeisterung hielt sich in Grenzen.
»Allmählich würde ich mir wünschen, dass du deine Meinung änderst«, sagte er verdrießlich. Er saß vor dem Spiegel und betrachtete sich nachdenklich. Verzweifelt versuchte er, seine frisch gewaschenen Haare in eine Ordnung zu bringen, was ihm aber nicht so recht gelingen wollte, obwohl er sogar ein unverschämt teures Marken-Gel, das Claudia am Tag zuvor für ihn gekauft hatte, dazu benutzte.
Sie zupfte an einer kleinen Falte, die auf dem grauen Satinhalstuch kaum zu sehen war. »Wenn dir das Ganze nicht mehr zusagt, kann ich Beatrice jederzeit anrufen und absagen. Sie wird es sicher verstehen.«
Sie warf ihm einen Blick zu und beobachtete, wie er mit schlanken Fingern durch den wilden Schopf fuhr und so versuchte, ihn zu bändigen. Allein der Gedanke, er könnte sich nicht wohlfühlen, ließ sie innerlich zusammenzucken.
»Achte einfach nicht auf mich«, sagte er und zog ein letztes Mal an einer Locke, die die letzten Anzeichen seiner Verletzung an der Schläfe überdeckte. Dann wandte er sich zu Claudia um und schenkte ihr eines seiner bezauberndsten Lächeln. »Ich verhalte mich wie ein Baby, Claudia. Ich will mich ja erinnern – wirklich. Aber ein selbstsüchtiger Teil in mir würde am liebsten alles Bisherige vergessen und einfach hier bleiben.« Sein Lächeln wurde noch wärmer, und die Sorgen, die sich Claudia soeben noch gemacht hatte, verwandelten
sich in Sehnsucht. »Am liebsten würde ich für immer bei dir sein.«
Claudia ließ das Halstuch fallen und stürzte zu ihm. Es war ihr kaum möglich, etwas zu sagen. Was er gerade ausgesprochen hatte, brachte den tiefen Wunsch, den sie nicht einmal vor sich selbst zugeben wollte, perfekt zum Ausdruck. Sie hatte Angst gehabt, zu viel zu verlangen. Aber sie konnte die Art und Weise, wie ihr Körper auf ihn reagierte, einfach nicht kontrollieren. Schon die Tatsache, wie er zärtlich ihren Namen aussprach, brachte ihr Herz zum Schmelzen.
An diesem Abend sah er wirklich umwerfend aus – und das noch ehe er sein hinreißendes Kostüm angezogen hatte. Während er seine Toilette machte, trug er eine von Claudias Lieblingsroben, die sie vor langer Zeit einmal Gerald geschenkt hatte. Das Kleidungsstück hatte die Farbe eines Cabernet Sauvignon, war lang und luxuriös und wies einen breiten, gesteppten Kragen und einen Kordelgürtel auf. Ihr Mann hatte es oft seinen Sherlock-Holmes-Morgenmantel genannt und Paul verlieh es einen gewissen Verrückter-junger-Professor-Charme. Zufälligerweise passte das sogar ausgezeichnet zu seinen mathematischen Fähigkeiten. Der einzige Nachteil, den die schöne Robe momentan hatte, war die Tatsache, dass sie Pauls wunderbare Haut verdeckte.
Als sie vor ihm stand, drehte er sich auf dem Hocker, auf dem er saß, zu ihr um. Impulsiv kniete sie sich vor ihm nieder.
»Oh, Paul«, brachte sie gerade noch heraus und vergrub dann ihr Gesicht in dem schweren Seidenstoff seiner Robe. Sie atmete den männlichen Duft ein, den sein Körper verströmte. Bald sollte ein Auto kommen, um sie abzuholen und zu Beatrices Maskenball zu bringen. Doch plötzlich wünschte sie sich aus ganzem Herzen, dass die Zeit einfach still stünde. Dass Paul mit all seinen Geheimnissen und seinen momentan nicht zugänglichen Kenntnissen die Uhr zum Stillstehen
brächte und sie hier für immer gemeinsam bleiben könnten. Als sie ihn ansah, hatte sie auf einmal
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