Haus der Sünde
über sich gebracht hatte, seine Kleidung wegzugeben, war nun eine große Auswahl für den Fremden vorhanden. Sie hatte Jeans und ein weiches, weißes Hemd für ihn herausgesucht und dazu Boxer-Shorts, saubere Socken und ein Paar Leinenschuhe.
Claudia musste sehr an sich halten, um ihre Hand nicht auszustrecken und ihn zu streicheln. Stattdessen warf sie einen weiteren sehnsüchtigen Blick auf den schlafenden Mann. Dieses längliche, elegante Gesicht; sein weiches, zerzaustes Haar; die herrlich geschwungenen Lippen. Diese Lippen hatten sie in der vergangenen Nacht mit einer unglaublichen Sicherheit geküsst, obwohl es die gleichen Lippen gewesen waren, aus denen nur kurz zuvor ein Schrei echter Angst gedrungen war.
Noch immer glaubte sie, sein tief empfundenes Stöhnen zu hören, als er zum Höhepunkt gekommen war.
Nimm dich zusammen, du machst dich ja lächerlich, sagte sie sich und sammelte die Kleidungsstücke ein, in denen der Fremde zu ihr gekommen war. Sie wollte sie reinigen lassen. Es blieb ihr also nichts anderes übrig, als dieser verkörperten Versuchung, die dort im Bett lag, den Rücken zu kehren und das Zimmer zu verlassen.
Mit leichten Schritten eilte sie die Treppe hinunter. Sie wusste zwar nicht, wie gut diese Liebesnacht ihrem Hausgast mit Gedächtnisschwund getan haben mochte, aber für sie selbst hatte es seit Langem nichts Belebenderes und Beglückenderes mehr gegeben.
Ihre Energie war seit gestern größer geworden, und als sie nach der Dusche nun nackt vor dem Spiegel stand, konnte sie deutlich ein Schimmern auf ihrer Haut sehen. In ihren braunen Augen funkelte es frech, und sie vermochte einfach
nicht das Lächeln zu unterdrücken, das ständig um ihre Lippen spielte. Sie strahlte eindeutig wie eine Frau, die es auf herrliche Weise mit einem fantastischen Mann getrieben hatte. Damit entsprach sie zwar einem verbreiteten Klischee, aber das machte ihr überhaupt nichts aus.
Du bist verrückt, Claudia, dachte sie, während sie das Hemd, die Socken und die Unterwäsche des Fremden in die Waschmaschine stopfte. Sie malte sich aus, wie die Kleidungsstücke in intimster Nähe mit ihren eigenen herumgeschleudert wurden, während sie wieder nach oben sauste und auf intimste Weise mit ihrem Besitzer beschäftigt sein würde.
Ja, es war tatsächlich eine Art von wunderbarem Wahnsinn. Wenn sie die Möglichkeit gehabt hätte, den gestrigen Abend noch einmal zu durchleben und andere Entscheidungen zu treffen, dann hätte sie bestimmt nichts an den großartigen Stunden geändert. Keine einzige Sekunde. Selbst wenn sich der Fremde als ein begabter Schauspieler und Betrüger herausstellen würde – was schließlich noch immer eine Möglichkeit war, wie eine übervorsichtige innere Stimme ihr immer wieder zuflüsterte. Sie war eine reiche Witwe, die allein lebte, und deshalb sollte sie durchaus in Betracht ziehen, dass der Mann trotz seiner offensichtlichen Glaubwürdigkeit dunkle Absichten hegte. Sie war das perfekte Opfer für jemanden, der so jung, aufgeweckt und attraktiv war wie er.
Doch für den Augenblick unterdrückte sie ihre Bedenken und kehrte in Gedanken zu den hinreißenden Stunden der letzten Nacht zurück. Sie kochte sich einen Kaffee und setzte sich dann an den Küchentisch, um ihn langsam zu trinken. Nach einer kleinen Weile wollte sie dem Fremden eine Tasse des Tees, den er so sehr genossen hatte, bringen. Hoffentlich würde er dann auch ihre Gegenwart erneut genießen, doch seinen wohlverdienten Schlaf wollte sie ihm keinesfalls rauben.
Nachdem sie die Tasse Kaffee ausgetrunken hatte, nahm sie
den samtenen Gehrock, in dem er gestern bei ihr eingetroffen war, in näheren Augenschein.
Es war ein vorzüglich geschnittener Mantel, von einer Schneiderei namens ›Hawkes of Savile Row‹ angefertigt. Es musste sich also um ein echtes, altes Stück handeln und nicht um irgendeine Jacke aus einem Kostümverleih. Augenblicklich war der Gehrock ziemlich verstaubt und sah so aus, als ob sein Besitzer mehrere Nächte hintereinander darin geschlafen hätte, was wohl auch tatsächlich der Fall gewesen sein mochte. Doch wenn man ihn mit Sorgfalt reinigte, sah er bestimmt wie neu aus.
Sie strich mit den Fingern über das dichte Gewebe des Samts und spürte unter der Oberfläche gleich neben dem Saum plötzlich etwas Hartes. Sie drehte den Gehrock um und entdeckte einen kleinen Riss im Futter der inneren Tasche. Es gelang ihr, den harten Gegenstand bis zu dem Loch zu manövrieren und
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