Haus der Sünde
Stuhl ganz um, um den Fremden zu begrüßen.
»Guten Morgen«, sagte Paul zurückhaltend, während er auf der Schwelle der Küchentür stehen blieb. Melody schenkte ihm sogleich ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.
Als Claudia ihren attraktiven Liebhaber nun im vollen Tageslicht wiedersah, fühlte sie sich sogleich beschwingt und voller Elan. Sogar in diesen ganz gewöhnlichen Jeans und dem schlichten weißen Hemd wirkte er so exotisch und ungewöhnlich, wie er das in seiner seltsamen Aufmachung aus einem anderen Jahrhundert getan hatte. Sein lockiges, zerzaustes Haar war noch feucht und wohl vor Kurzem erst mit einem Handtuch trocken gerubbelt worden. Und die Tatsache, dass er das Hemd weder zugeknöpft noch in die Hose gestopft hatte, verriet eine Vertrautheit mit seiner Gastgeberin, wie sie Melody aus Claudia hatte herauslocken wollen. Er sah wie ein Mann aus, der ausgehalten wurde, daran war nicht zu rütteln.
Sie wollte auch gar nicht daran rütteln – vor allem, als er ihr ein warmes, komplizenhaftes Lächeln zuwarf, das gleichzeitig Nervosität und eine höchst männlich wirkende Kühnheit ausdrückte. Claudia hätte vor Stolz am liebsten ein Liedchen geträllert, ihn zu sich gezogen und es sofort wieder mit ihm getrieben – auch wenn er tatsächlich nur hinter ihrem Geld her war.
Sie ließ den Blick von ihrem Liebhaber zu ihrer Freundin schweifen. Melody starrte Paul mit einem offensichtlichen sexuellen
Interesse an. Ihr pink geschminkter Mund stand sogar leicht offen. Claudia wollte sie gerade einander vorstellen, als die andere Frau selbst die Initiative ergriff.
»Auch Ihnen einen guten Morgen«, erwiderte sie und grinste. »Ich bin Claudias Freundin Melody, sie hat mir schon alles über Sie erzählt.«
Paul kam ganz in die Küche herein und schüttelte Melody die Hand, die sie ihm hingestreckt hatte. Er lächelte weiterhin scheu, ja ein wenig verschüchtert, doch noch immer war das Strahlen seiner Augen unübersehbar, das Claudia von Anfang an so bezaubert hatte. Deutlich bemerkte sie, dass auch Melody von seinem verführerischen Lächeln hingerissen war.
»Ich bin -« Er runzelte für einen Augenblick die Stirn, da er ganz offensichtlich damit kämpfte, seinen Namen irgendwo aus den verborgenen Winkeln seines Gedächtnisses hervor zu kramen.
»Paul«, half ihm Claudia mit leiser Stimme, stand vom Küchentisch auf und trat auf ihn zu. Sie zog die Uhr aus ihrer Hosentasche. »Ich glaube, du heißt Paul. Ich habe das hier im Futter deiner Jacke gefunden.« Als sie vor ihm stand, öffnete sie die Taschenuhr und legte sie ihm dann in die Hand. Er lächelte über die hübsche Walzermelodie, die nun ertönte, und betrachtete das edle Stück dann näher. Aufmerksam las er die Widmung.
»Sagt dir das irgendetwas?«, fragte sie, als er schwieg und bloß auf die Worte starrte, die in das Gold eingraviert waren.
»Ich bin mir nicht sicher«, erwiderte er nach einer Weile, schloss die Uhr, öffnete sie wieder und schloss sie dann erneut, als sollte diese Handlung seinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. »Paul … Paul …«, sagte er langsam und gedankenverloren. »Es hört sich nicht falsch an«, fuhr er nach einem kurzen Schweigen fort, »aber ich kann nicht behaupten, dass ich mir sicher bin, so zu heißen.«
»Mir gefällt der Name«, erklärte Claudia, die plötzlich merkte, wie sehr er das tatsächlich tat. »Er passt zu dir.«
»Ja, es ist ein hübsche Name«, stimmte auch Melody zu, die sich offenbar allmählich wieder im Griff hatte. »Sie sahen genauso aus, wie ein Paul aussehen sollte.«
Für einen Moment herrschte Schweigen und Claudia spürte, wie Pauls zarte Selbstsicherheit ins Wanken geriet. Schließlich war noch nicht einmal ein Tag vergangen, seitdem er voller Angst und Verwirrung bei ihr auf der Türschwelle gestanden hatte.
»Wie wäre es mit einer Tasse Tee, Paul?«, schlug sie vor und zog ihm einen Stuhl hin. Als er sich setzte, warf sie Melody einen bedeutsamen Blick zu.
»Nun ja, gibt es irgendetwas, das ich für dich besorgen kann, Claudia?«, erkundigte sich Melody, die sogleich begriffen hatte, was ihre Freundin wünschte. »Vielleicht kann ich diese Sachen für dich zur Reinigung bringen?« Sie nickte in Richtung des Gehrocks, der Weste und der Hose, die nun über einem der Küchenstühle hingen. »Taylor’s sind sehr gut, wenn es um besonders empfindliche Stoffe geht. Ich könnte sie bitten, die Sachen zu liefern, sobald sie fertig sind, wenn du das willst.«
Schon eine
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