Haus der Sünde
»Schließlich hat Gerald mich nicht gerade als arme Witwe zurückgelassen. Und ich bin allein. Und Paul ist … Na ja … Sie haben ihn ja gesehen! Er ist ziemlich atemberaubend und außerdem nicht gerade auf den Kopf gefallen – zumindest nicht in dieser Hinsicht.« Sie lachte.
Beatrice schwieg für eine Weile. Sie ließ sich noch tiefer in das Sofa sinken, hob das Glas mit Sherry vor die Augen und verhielt sich ganz so, als ob sie eine Antwort, die nicht allzu verletzend war, in der bernsteinfarbenen Flüssigkeit suchte. Für einen seltsamen und erhellenden Moment sah sich Claudia wieder in ihrer Küche. Auch sie hatte vor einem gefüllten Glas gesessen und nach einer Antwort auf ihre eigenen Fragen gesucht. Dann sah sie auf einmal wieder ihre Vision vor Augen: Beatrice in einem weißen Mantel, dem weißen
chinesischen Kleid und ihren langen schönen Beinen, die in schwarzen Seidenstrümpfen steckten. Plötzlich war es noch wichtiger als zuvor, in den Augen dieser attraktiven Frau nicht wie eine Närrin zu erscheinen.
Als Beatrice schließlich antwortete, klang ihre Stimme herausfordernd, wenn auch leise.
»Wäre es denn so schlimm, wenn er das alles tatsächlich nur spielen würde?«
Sie weiß es, dachte Claudia und fühlte sich auf einmal ganz heiß – eine Empfindung, die allerdings nicht unangenehm war. Sie weiß genau, was ich denke, und sie stimmt mir zu! Wie eine Schlange schien sich auf einmal wieder das Verlangen in Claudia zu regen, aber sie wusste nicht, ob es Paul oder der Frau, die da neben ihr saß, galt. Das Erstaunlichste war, dass sie sich nicht einmal darüber Gedanken machte!
»Nein, vielleicht nicht«, antwortete sie vorsichtig. Aufmerksam beobachtete sie Beatrice, wie diese an ihrem Sherry nippte. Ihr Herz schlug schneller, als sie den eleganten Schwanenhals der Ärztin betrachtete, der eine große Sinnlichkeit verströmte. »Es würde darauf ankommen, ob er nur ein Betrüger ist, der so etwas zum ersten Mal macht oder ob er ein Gewohnheitsverbrecher ist … Was glauben Sie? Seien Sie bitte ehrlich. Hat er sich wirklich verletzt oder macht er uns nur etwas vor? Kann man ihm vertrauen … Oder ist er … Oder ist er ein schlechter Mensch?« Es klang höchst melodramatisch, doch es fiel Claudia schwer, ihre Gedanken in die richtigen Worte zu kleiden.
»Nun, an der Verletzung an seinem Kopf gibt es jedenfalls nichts zu rütteln«, meinte Beatrice, die noch immer zurückgelehnt dasaß. Sie schlug ihre langen Beine übereinander und hob einen ihrer Füße, die in zierlichen Sandalen steckten, als würde sie ihre fein säuberlich gepflegten Nägel betrachten. Claudia bemerkte, dass sie feuerrot lackiert waren. »Ich bin
manchmal nicht besonders gut, wenn es darum geht, den Charakter eines Menschen einzuschätzen«, fügte Beatrice hinzu und verzog den Mund zu einem trockenen Lächeln. »Aber Paul scheint mir ehrlich genug zu sein. Außerdem habe ich eine gewisse Schwäche für böse Jungs. Sie bieten doch viel mehr als es die netten, harmlosen tun.« Sie zwinkerte Claudia zu und nahm einen weiteren Schluck Sherry, den sie offensichtlich besonders genoss.
Claudia lachte. Je mehr Zeit sie mit Beatrice verbrachte, desto besser gefiel sie ihr – in mehr als nur einer Hinsicht. »Dann ist es wohl das Beste, wenn ich mir nicht allzu viele Gedanken darüber mache und mich sinnlos verausgabe.«
»Ich hoffe allerdings, dass Sie sich in anderer Hinsicht schon verausgaben«, entgegnete Beatrice und warf Claudia durch ihre langen, dichten Wimpern einen wilden Blick zu.
Claudia wollte gerade antworten, dass sie nicht wüsste, was die andere Frau meine, doch dann wurde ihr klar, dass dies völlig sinnlos war. Natürlich wusste sie, worauf Beatrice hinaus wollte, und sie wusste auch, dass die andere Frau wusste, dass sie es wusste. Sie warf der Ärztin einen gewollt aufrichtigen Blick zu und meinte dann: »Ja, in der Hinsicht tue ich schon mein Bestes.«
»Ha! Ich wusste es!«, rief Beatrice triumphierend. »Ich habe es schon vermutet, als wir am Telefon miteinander sprachen, und als ich Sie dann zusammen mit ihm erlebte – na ja, Ihr leidenschaftlicher Auftritt hat einiges verraten. Ich wusste, dass Sie ihn gehabt haben.«
Ihn gehabt haben ? Claudia gab zu, dass das in etwa beschrieb, was geschehen war, obwohl es schwierig war, genau zu sagen, wer wen gehabt hatte. Im Grunde traf sowohl das eine als auch das andere zu.
»Wie Sie schon sagen«, bemerkte sie leise, »er ist recht atemberaubend …
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