Haus der Sünde
nicht ganz so einfach. In gewisser Weise geschah damals eher das Gegenteil … Obwohl es genau das war, was ich wollte, sodass man sagen könnte, dass ich das Ruder in der Hand durchaus behielt.«
Noch neugieriger geworden, sagte Claudia ohne nachzudenken: »Erzählen Sie mir davon.«
»Sie hieß Cassis«, antwortete Beatrice, deren ovales Gesicht jetzt verträumt in die Vergangenheit zu blicken schien.
» Sie ?«
Beatrice spürte wie jedes Mal, wenn sie jemanden schockierte, wie sich ihr Körper vor Erregung zusammenzog. Sie hatte ihrer Meinung nach recht geschickt und nicht allzu offensichtlich das Thema auf die Liebe zwischen Frauen gebracht, und ihre fein ausgerichteten Sensoren, auf die sie sich in sexueller Hinsicht stets verlassen konnte, hatten ihr mitgeteilt, dass Claudia beinahe so weit war. Doch die Verblüffung ihrer Gastgeberin heizte sie noch mehr an.
»O ja. Verzeihen Sie. Ich habe gar nicht daran gedacht«,
sagte sie, zuckte die Achseln und genoss es, Claudias überraschte, weit aufgerissene Augen auf sich gerichtet zu sehen. »Cassis war natürlich ein Mädchen. Ich vergesse immer, dass nicht jede …« Sie beendete die Erklärung nicht, sondern bemühte sich, Claudia so besorgt wie möglich anzuschauen. »Ich habe Sie mit meiner Enthüllung doch nicht verletzt? Schließlich gibt es viele Leute, die die Vorstellung von gleichgeschlechtlicher Liebe geradezu abstoßend finden.«
»Nein, nein, Sie haben mich nicht verletzt«, erwiderte Claudia und nahm hastig einen Schluck von ihrem Sherry. Beatrice stellte zufrieden fest, dass ein roter Schimmer den Hals und das Gesicht ihres Gegenübers zu überziehen begann. »Ich habe da keine Vorurteile … Bitte, erzählen Sie nur weiter. Cassis ist wirklich ein ungewöhnlicher Name. Ist sie auf diesen Namen getauft worden?«
Ausgezeichnet, dachte Beatrice und jubelte innerlich auf. Es war zwar noch nicht an der Zeit, dieser wunderbaren und so viel versprechenden Frau offen zu zeigen, was sie eigentlich mit ihr vorhatte, aber zumindest schien der Pfad, der vor ihr lag, nun nicht mehr so steinig.
»Ach, das glaube ich nicht«, sagte Beatrice und dachte an diese andere viel versprechende Frau, die jedoch so ganz verschieden von der warmherzigen Claudia gewesen war. »Sie war damals ein wildes, ungebärdiges Mädchen, etwa neunzehn oder zwanzig Jahre alt, und sie färbte sich die Haare in der Farbe schwarzer Johannisbeeren. Außerdem arbeitete sie in einer Bar, und der Drink, den sie am besten mischen konnte, war ein wirklich hammermäßiger Kir.« Beatrice glaubte plötzlich wieder, den fruchtigen Geschmack des Likörs Crème de Cassis auf der Zunge zu schmecken. Sogleich wurde er jedoch von dem wesentlich benebelnderen Geschmack von Cassis selbst abgelöst. Das Mädchen hatte eine derart gierige Möse gehabt, dass auch Beatrice sie bis jetzt noch nicht vergessen konnte.
»Wie haben Sie sich kennen gelernt?«
Ja, wie hatten sie sich eigentlich kennen gelernt? Beatrice war in Versuchung, die damaligen Ereignisse zu verklären, um in Claudias Augen besser dazustehen. Doch dann entschloss sie sich, ehrlich mit der Frau zu sein, die ihr gegenübersaß. Zumindest mehr oder weniger.
»Ich sah sie eines Abends, als ich in ihre Bar kam, um dort etwas zu trinken. Ich hatte einen langen, ermüdenden Tag hinter mir, der vor allem aus vielen Hausbesuchen bei einigen hochstehenden und unangenehmen Patienten bestanden hatte. Ich brauchte wirklich einen Drink, um mich zu entspannen und wieder auf eine normale Ebene herunterzukommen.«
Die Patienten waren vor allem ältere Frauen gewesen, wohlhabende Witwen mit gefärbten Haaren, die einen Stich ins Lila hatten, und häufig hypochondrisch veranlagt waren. Es war eine unangenehme Ansammlung gewesen, doch Beatrice hatte sich zusammengenommen, um souverän und taktvoll zu bleiben. Als die Visiten vorbei waren, hatte sie sich nach der Gesellschaft einer komplett anderen Art von Frau gesehnt und sich sogleich auf den Weg zu ihrer Lieblings-Lesbenbar gemacht, wo ihr Geist und ihre Libido rapide den Weg nach oben einschlugen.
»Das erste Mal hat sie kaum mit mir gesprochen«, fuhr sie fort und warf Claudia einen beinahe verlegenen Blick zu. »Aber ich war vom ersten Augenblick an, als ich sie sah, von ihr entzückt … Ich fühlte mich so töricht. Damals war ich fünfunddreißig. Eine erfolgreiche, wohlhabende, angeblich selbstbewusst wirkende Frau. Und nun hechelte ich einer abgerissenen kleinen Göre hinterher, die
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