Haus der Sünde
entschloss, ihr Glas noch einmal aufzufüllen.
»Ja, ich glaube, ich weiß, was du meinst«, erwiderte Paul ein wenig unverbindlich und hielt auch sein Glas hin, damit sie ihm noch mehr einschenkte.
Ganz schön unverschämt, dachte Claudia, auch wenn sie dabei am liebsten gelacht hätte. Er meint also, dass ich deshalb so scharf darauf war, mit ihm zu schlafen – weil ich den Sex, den ich mit Gerald hatte, so vermisse.
Ihre Augen trafen sich und Claudia prostete ihm zu. »Nur zu deiner Information, Mr. Geheimnisvoll. Ich bin vor Frust nicht eingegangen, bis du hier angekommen bist. Ich hatte irgendwie gar nicht das Bedürfnis … das Bedürfnis danach.«
Paul zog die Augenbrauen hoch, grinste und nahm dann einen Schluck. Seine beweglichen Lippen schmiegten sich herausfordernd um den Strohhalm. »Ach so, dann hast du es also nur für mich getan«, bemerkte er, nachdem er eine Weile
nachgedacht hatte. »Sozusagen als eine Therapie für Fortgeschrittene. Gegen meinen Gedächtnisschwund.«
»Sei nicht so unverfroren«, sagte sie und überlegte kurz, ob er es nicht verdient hatte, ein Glas Saft ins Gesicht geschüttet zu bekommen. Es war natürlich nicht seine Schuld. Sie wusste durchaus, dass ihre Bemerkung eine solche Antwort geradezu herausgefordert hatte.
»Entschuldige«, sagte Paul, stellte das Glas ab und rutschte mit dem Stuhl ein wenig näher, um Claudia besser ansehen zu können. »Das ist natürlich eine dumme, sogar eine völlig blödsinnige Bemerkung von mir gewesen. Und weder deine noch meine Situation sollte so frivol abgehandelt werden.« Seine Miene wurde auf einmal ernst und damit auch auf geradezu poetische Weise bildschön. Claudia spürte, wie sie im Inneren erbebte. »Du musst dich sehr einsam gefühlt haben.«
Obwohl sie ihn schon wieder begehrte, spürte sie, dass er mit ihr reden wollte. Sie wusste genau, wie er sich fühlte. Seine eigene Einsamkeit war bestimmt anders, als die ihre es gewesen war, aber deshalb nicht weniger stark.
»Ganz so schlimm ist es nicht gewesen. Ich habe schon ein paar Freunde.«
»Wie Melody und Beatrice?« Er warf ihr einen Blick zu, der oberflächlich betrachtet unschuldig und völlig neutral wirken mochte, doch Claudia bemerkte, dass sich in den unergründlichen Tiefen seiner blauen Augen etwas regte.
Sie sah ihn an und wandte dann rasch den Blick ab. Die idyllische Atmosphäre im sommerlichen Garten war noch immer dieselbe. Die Blumen und Büsche dufteten wie zuvor, und das Licht des Nachmittags hatte sich auch nicht gewandelt. Trotzdem schien sich in der Stimmung, die zwischen ihnen herrschte, erneut etwas geändert zu haben. Das Pendel schwang wieder in Richtung Sex, wie es das in den weniger
als vierundzwanzig Stunden, in denen sie sich kannten, immer wieder unvermeidbar getan hatte.
»Melody ist wirklich meine Freundin«, sagte sie und fragte sich, wohin sich die Unterhaltung wohl wenden würde. »Ich kenne sie seit Jahren. Seitdem wir Mädchen waren. Mittlerweile sind wir wirklich sehr eng miteinander befreundet.« Sie hielt für einen Moment inne, da sie erneut bemerkte, wie interessiert Paul wirkte. »Was Beatrice betrifft, so kenne ich sie kaum. So richtig habe ich das erste Mal bei Geralds Beerdigung mit ihr gesprochen. Er war eigentlich mit ihr befreundet, nicht ich.«
»Oh, ich verstehe.«
Verstand er es wirklich? Claudia nahm an, dass er es tatsächlich tat. Sie entschloss sich, ihn ein bisschen zu provozieren. Schließlich wollte sie ihm in nichts nachstehen und war sich auf einmal sicher, warum er Melody und Beatrice überhaupt erwähnt hatte. Dieser Teufel! Es kam ihr fast so vor, als hatte er genau jene Gedanken lesen können, die sie bereits verfolgt hatten, als die verführerische Ärztin den ersten Schritt über ihre Schwelle getan hatte.
»Was hältst du denn von Beatrice?«, fragte sie und bemühte sich dabei, ihre Stimme so unverfänglich wie möglich klingen zu lassen. »Ich kann mir vorstellen, dass sie sehr gut mit Kranken umgehen kann.«
»Ja, sie ist sehr eindrucksvoll«, meinte Paul ausweichend. »Was hältst du denn von ihr?«
Claudia überlegte, wie sie genauso unverbindlich antworten könnte, doch während sie noch nachdachte, nahm Paul einen weiteren Schluck. Von der kalten Oberfläche des Glases fiel ein Tropfen Kondenswasser auf die glatte Haut seiner entblößten Brust. Wie verzaubert beobachtete sie die winzige Perle, die ganz langsam nach unten zu rinnen begann, von seinem blassen Brustbein in Richtung Taille. In
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