Haus der Sünde
endlich aufgehört hatten, sich zu lieben, derart erschöpft gewesen war, dass es das Beste schien, für sich zu sein. Sie hatten gebadet, noch einen Happen zusammen gegessen und dann beide in ihren Baderoben ein wenig beisammen gesessen. Seine Augen hatten müde und verschleiert gewirkt, und er hatte sich mehrmals darum bemüht, ein Gähnen zu unterdrücken. Als sie ihn ins Bett schickte, hatte er jedoch nicht widersprochen und sie auch nicht gebeten, ihn zu begleiten. Das war für sie zwar erleichternd, aber auch ein wenig enttäuschend gewesen.
Wir hätten zumindest in einem Bett zusammen schlafen können, dachte sie und warf einen Blick auf die Uhr. Sie seufzte tief auf. Wenn sie den Termin schaffen wollten, dann mussten sie sich jetzt sputen.
Sie entschied, sich als Erstes einmal selbst fertig zu machen und sich dann auf Paul zu konzentrieren. Also wählte sie aus, was sie tragen wollte, und begann mit einer raschen, aber
sorgfältigen Toilette. Claudia wollte sowohl Beatrice beeindrucken als auch für ihren Liebhaber umwerfend – und jung – aussehen.
Immer wieder musste sie daran denken, dass sie die Nacht mit ihm hätte verbringen sollen. Ein warmer Körper in ihrem Bett war genau das, was sie seit Geralds Tod besonders vermisst hatte. Zur Beruhigung, zum Trost, falls sie von einem Albtraum in Panik versetzt wurde. Und außerdem allein deswegen, weil es sich so wunderbar anfühlte.
Aber damit wäre es nicht genug gewesen, nicht wahr, dachte sie weiter und legte den Kamm beiseite, nachdem sie ihre kurzen, weichen Haare so hübsch wie möglich frisiert hatte. Sie betrachtete ihre Hände, als hätte sie diese noch nie zuvor gesehen. Diese Hände waren unersättlich und nicht aufzuhalten, wenn sie sich auch nur in der Nähe von Pauls Körper befanden. Hätte sie ein Bett mit diesem Mann geteilt, wäre sie gewiss nicht in der Lage gewesen, ihn die Nacht über in Ruhe zu lassen. Sie hätte ihn aufgeweckt, Berührungen von ihm gefordert und ihn dazu gebracht, sie zu befriedigen, obwohl er doch so dringend einen ruhigen Schlaf ohne Unterbrechungen brauchte.
Es war besser, dass ich ihn allein gelassen habe, dachte sie und unterdrückte ihr egoistisches Bedauern. Dann stand sie auf und betrachtete ihr Spiegelbild in dem viktorianischen Standspiegel, der zu den vielen wertvollen Hochzeitsgeschenken gehörte, die ihr Gerald gemacht hatte.
Nicht schlecht, lobte sie sich selbst. Sie gefiel sich in dem cremefarbenen und marineblauen Kleid, das eine Knopfleiste von oben bis unten besaß und das sie nach längerer Überlegung für den heutigen Tag auserkoren hatte. Es war ärmellos und reichte über das Knie, sodass es auf den ersten Blick zurückhaltend wirkte. Doch die lange Reihe der rechteckigen blauen Knöpfe suggerierte einen leichten Zugang zu ihrem Körper, was
sich ausgesprochen erotisch ausnahm. Nicht nuttig, aber viel versprechend. Dazu trug sie Riemchensandaletten, die nicht hochhackig waren, aber eine hübsche, runde Form aufwiesen und den Gesamteindruck noch unterstrichen.
Närrin, tadelte sich Claudia selbst. Was erwartest du eigentlich? Du gehst in eine Klinik, begleitest einen verwirrten Freund dorthin, der sich untersuchen lassen muss. Schließlich geht ihr in kein Hotel, um euch dort nach dem Lunch zu vergnügen.
Dennoch tat es ihrem Selbstvertrauen richtig gut, so auszusehen, als bestünde die Möglichkeit, sich jederzeit in ein Séparée zurückzuziehen. Sie strich den Rock glatt und zwinkerte ihrem Spiegelbild verschmitzt zu.
Kapitel 9
Erinnerungen an früher
»Was ist mit dir los?«, fragte Claudia beunruhigt, als sie sich umdrehte und feststellte, dass Paul wie angewurzelt stehen geblieben war. Er rührte sich nicht von der Stelle und starrte entgeistert auf das Auto, das sie zuvor aus der Garage gefahren hatte, während sie noch auf ihn wartete. Auf seinem Gesicht spiegelten sich Hoffnung und Angst zugleich.
»Paul, was ist los?«, wiederholte sie, trat zu ihm und legte ihm die Hand auf den Arm. Er rührte sich noch immer nicht. Irgendetwas musste doch passiert sein – entweder etwas sehr Schlimmes oder vielleicht sogar etwas Gutes. Geralds schöner, alter Oldtimer der Marke Jaguar löste oft Bewunderung aus und manchmal sogar Neid, aber bisher war noch niemand vor Entzücken erstarrt.
»Paul!« Sie schüttelte ihn vorsichtig, als sie plötzlich spürte, dass er zitterte. »Sag mir bitte, was los ist! Du machst mir Angst!«
Als er sich ihr zuwandte, sah sie, dass seine Augen weite
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