Haus der Sünde
Gedankengang bestätigen. »Ich habe ohnehin Hunger.« Wieder grinste sie, und der Schalk, der aus ihrem hübschen Gesicht sprach, brachte ihre Augen zum Leuchten und ließ ihre ganze Erscheinung außergewöhnlich reizvoll wirken. »Ich meine, wirklichen Hunger. Und was auch immer Paul mit diesem Hühnchen gemacht hat, es duftet jedenfalls fantastisch!«
»Das stimmt«, sagte Claudia und warf einen letzten Blick in den Spiegel. »Gehen wir essen.«
»Du siehst toll aus«, erklärte Melody mit warmer Stimme. »Du musst dir überhaupt keine Gedanken machen.«
Claudia fühlte sich auch toll. Obwohl sie manchmal dachte, dass sie ihren eigenen Glauben an die Vorstellung, viel jünger als eine Frau in den Vierzigern auszusehen, überbewertete, war sie an diesem Abend davon überzeugt, geradezu alterslos zu sein. Ihre Haare, Augen und ihr Gesicht schimmerten erfüllt und zufrieden, und selbst ihr Körper schien ein untergründiges, diskretes Leuchten auszustrahlen; ein Glühen, das die Kleidung, die sie trug, noch besser zur Geltung brachte.
»Findest du, dass das gut aussieht?«, erkundigte sie sich bei Melody, da sie noch immer ein bisschen moralische Unterstützung brauchte. Sie strich sich den Baumwollstoff ihrer fuchsienfarbenen Caprihose glatt, damit sie um ihre Hüften herum besser saß, und zog dann an dem Saum des farblich dazu passenden, ärmellosen Tops.
»Atemberaubend!«, erklärte Melody. »Und ich finde, dass ich auch nicht schlecht aussehe. Was meinst du?«
»Du weißt genau, was ich meine, meine kleine eitle Mademoiselle«, rief Claudia, drehte sich um und fasste Melody am Hintern, um sie in eine der Pobacken zu kneifen. Ihre Freundin trug eng anliegende Jeans zu ihrem Musselinoberteil, deren Schnitt jederzeit dazu einzuladen schien, die Hand auf ihren Hintern zu legen. Claudia fragte sich, ob auch Paul diese Wirkung verspüren würde. Falls sie es nicht schaffen sollte, den Abend hinter sich zu bringen, ohne Melody zwei- oder dreimal anzufassen, hielt sie es für sehr unwahrscheinlich, dass Paul der einladenden Gestalt widerstehen konnte.
»Komm schon«, sagte sie und nahm Melody an der Hand. »Gehen wir nach unten zu Paul, ehe ich mich dazu gezwungen sehe, dir die Kleider wieder vom Leib zu reißen und dich ins Bett zu zerren!«
»Gütiger Himmel!«, rief Paul und ließ die Pfanne, die er gerade in der Hand hielt, mit einem lauten Knall auf den Herd fallen. Zum Glück spritzte nichts heraus.
Claudia lächelte und war froh, dass sie nicht zu eifersüchtig reagierte, als sie bemerkte, wie er Melody anstarrte. Ich habe bei dieser ungeheuren Verwandlung eine wichtige Rolle gespielt, dachte sie. Er bewundert sie zwar jetzt, aber seine Anerkennung gilt mir im Grunde genauso.
»Ihr habt ja Fantastisches geleistet«, sagte er, trat vom Herd weg und kam auf sie zu. Enthusiastisch streckte er die Hände aus und fasste nach den Frauen. Claudia wusste, dass ihr Instinkt wieder einmal Recht behalten hatte. »Ihr habt da ja ein wahres Wunder vollbracht!« Zuerst lächelte er Melody und dann Claudia an. »Ich habe das Gefühl, zwar noch die gleiche Person zu sehen, zugleich aber jemand ganz anderen.«
Er redet, als kenne er uns beide schon seit Jahren, dachte Claudia verblüfft. Er besitzt ein unglaubliches Einfühlungsvermögen,
auch wenn ich nicht wirklich begreife, wie er es immer wieder schafft, genau das Richtige zu sagen. Ich weiß einfach nur, dass es richtig ist.
Es verwirrte sie, doch als sie von einem glatten, schönen Gesicht zum anderen blickte, wurde sie sich eines weiteren Mysteriums bewusst. Seitdem Melody nun dunkle Haare hatte, besaß sie eine verblüffende Ähnlichkeit mit Paul. Sie waren einander jedoch nicht wirklich ähnlich, denn seine Gesichtszüge wirkten viel zu männlich, während ihre sehr weiblich waren, aber beide besaßen ein faszinierendes Geheimnis. Sie strahlten eine Erotik aus, die einerseits beinahe greifbar schien und andererseits doch delikat und untergründig war. Die Tatsache, dass beide nun in ihrem Haus waren und mit ihr zusammen sein wollten, ließ ihr Herz schneller schlagen, verdrehte ihr den Kopf und ließ sie am ganzen Körper erbeben.
Die Qual der Wahl, dachte sie und schaute von ihrer Freundin zu Paul und wieder zurück. Waren sie sich vielleicht sogar ihrer schwer fassbaren Ähnlichkeit bewusst? Sie sah, wie Melody den jungen Mann schüchtern anlächelte und wie daraufhin etwas schwach, aber doch sichtbar in seinen Augen aufflackerte. Er erwiderte Melodys
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