Haus der Vampire 01 - Verfolgt bis aufs Blut-ok
Geisteswissenschaften, und sie rannte so viel des Wegs, wie sie konnte, bis sie der Schmerz in ihrem noch immer verstauchten Knöchel und ihrem wunden Rücken dazu zwang, langsamer zu werden. Über zwei Treppen gelangte sie zu den Büros; sie ging an Professor Wilsons geschlossenem Büro vorbei und blieb vor dem unaufgeräumten Schreibtisch draußen zwischen den Korridoren stehen. Auf dem Namensschild stand Vivian Samson, aber alle nannten sie nur den Drachen, und die Frau, die dahintersteckte, machte ihrem Namen alle Ehre. Sie war alt, dick und für ihre schlechte Laune berüchtigt. In allen Unigebäuden herrschte Rauchverbot, aber an der Schreibtischecke des Drachens stand ein überquellender Aschenbecher, und im Mundwinkel ihrer rot angemalten Lippen hing eine glimmende Zigarette. Sie hatte eine toupierte Hochfrisur, die sie aussehen ließ, als sei sie direkt einem alten Film entsprungen. Sie hatte einen Computer, aber er war nicht an, und wie Claire an den zentimeterlangen, hellrot lackierten Nägeln erkennen konnte, tippte der Drache auch nicht.
Sie ignorierte Claire und las weiter in der Zeitschrift, die offen vor ihr lag.
»Ähm - entschuldigen Sie bitte?«, sagte Claire. Sie fühlte, wie der Schweiß an ihr klebte vom Rennen in der Hitze, und es war ihr noch immer irgendwie übel von dem, was ihr in der Bibliothek zugestoßen war. Der Drache blätterte eine Zeitschriftenseite um. »Ich bräuchte nur...«
»Ich habe Pause.« Die Hand mit den rot lackierten Klauen nahm die Zigarette aus dem rot angemalten Mund, wanderte zum Aschenbecher und streifte Asche ab. »Eigentlich wäre ich heute gar nicht hier. Scheißabsolventen. Komm in einer halben Stunde wieder.«
»Aber...«
»Kein aber. Ich habe Pause. Husch, husch!«
»Aber Professor Wilson schickt mich, um etwas aus seinem Haus zu holen, er hat mir die Adresse nicht gegeben und ich komme zu spät zum Unterricht. Bitte...“
»Herrgott noch mal! Ich drehe ihm den Hals um, wenn er zurückkommt Hier.«
Sie nahm eine Karte aus einem Halter und warf sie Claire mit zornigem Blick hin. »Wenn du eine Irre bist, ist das nicht mein Problem. Richte Seiner Hoheit aus, wenn er mit irgendwelchen Studentinnen herumtollen will, kann er verdammt noch mal daran denken, ihnen in Zukunft seine verdammte Adresse selbst zu geben. Verstanden?«
»Verstanden«, sagte Claire mit ganz leiser Stimme. Herumtollen . Darüber wollte sie gar nicht nachdenken. Überhaupt nicht. »Danke.«
Der Drache stieß aus beiden Nasenlöchern eine Rauchwolke aus und hob die Augenbrauen, die eher angedeutet als in Form gezupft waren. »Du gehörst wohl zur höflichen Sorte. Jetzt aber raus hier, bevor ich mich daran erinnere, dass ich eigentlich Pause habe.«
Claire flüchtete, wobei sie die Karte mit schweißnassen Fingern umklammerte.
13
»Weißt du«, sagte Shane zwanzig Minuten später, »ich würde mich, was uns beide angeht, sehr viel besser fühlen, wenn du nicht denken würdest, ich sei die Ansprechperson für Einbrüche.«
Sie standen auf Professor Wilsons Veranda und Claire spähte durch ein trübes Fenster in ein ebenso trübes Wohnzimmer. Ein schlechtes Gewissen überkam sie wegen des Einbruchs - sie hatte Shane tatsächlich angerufen. Aber kurz danach machte ihr Herz einen seltsamen kleinen Sprung, als sie sich daran erinnerte, dass er uns beide gesagt hatte.
Sie wagte es nicht, ihn anzuschauen. Bestimmt hatte er das gar nicht so gemeint. Bestimmt meinte er Freundschaft und so was. Er behandelte sie wie ein Kind. Wie seine Schwester. Er hatte nicht - er konnte nicht -
Aber was, wenn doch?
Und sie konnte es nicht fassen, dass sie ausgerechnet jetzt daran dachte, auf der Türschwelle eines toten Mannes. Durch die Erinnerung an Professor Wilsons schlaffen, gummiartigen Körper erlangte sie ihre Fassung wieder und sie konnte sich schließlich vom Fenster losreißen und Shanes Blick begegnen, ohne zu flattern wie ein erschrockener Spatz. »Na ja, Eve konnte ich schließlich schlecht fragen«, sagte sie sachlich. »Sie ist bei der Arbeit.«
»Macht Sinn. Hey, schau mal, was ist das?« Shane zeigte auf etwas. Sie wirbelte herum. Hinter ihr klirrte Glas, und als sie sich wieder umwandte, öffnete er gerade die Hintertür. »Bitte schön. Jetzt kannst du immer noch behaupten, dass du nicht wusstest, dass ich es tun würde. Du hast also kein Verbrechen begangen.«
Na ja, nicht direkt . Sie hatte noch immer den Metallzylinder über ihren Schultern hängen. Sie fragte sich, ob
Weitere Kostenlose Bücher