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Haus des Blutes

Haus des Blutes

Titel: Haus des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bryan Smith
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kauerte auf allen vieren auf dem Boden. Sie war asiatischer Abstammung. Ihr Körper glich einer einzigen Ansammlung von Peitschenstriemen. Eine lächelnde Miss Wickman beobachtete sie von einer erhöhten Position auf dem Bett. Sie saß neben der Dunkelhäutigen und hielt ein Rasiermesser an deren Kehle. Ein weiterer Schüler, ein schwarz gekleideter Mann mit welligem, dunklem Haar, lauerte mit einer Zimmermannsaxt über der Schulter der Asiatin.
    Giselle spürte, wie eine Welle des Mitleids durch ihren Körper schwappte. Miss Wickman stellte Fragen, die zu beantworten niemals jemand gezwungen werden sollte.
    Fragen, bei denen es um Leben und Tod ging.
    Giselle wusste, dass sie den Frauen nicht helfen konnte, aber dieses Wissen schmälerte ihre Seelenqualen nicht im Geringsten. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Im Laufe der Jahre hatte sie sich einen Schutzwall gegen emotionale Ausbrüche aufgebaut. Ihr Überleben erforderte eine gewisse Distanziertheit, eine innere Kälte, und sie hatte diese Haltung so sehr verinnerlicht, dass sie aufgehört hatte, überhaupt etwas zu fühlen. Nun jedoch, da ihr Plan endlich Früchte trug, begann diese Mauer zu bröckeln.
    Vor ihrem geistigen Auge sah sie, wie Miss Wickman die Stirn runzelte.
    Und in Richtung der Wand starrte.
    Giselle glitt mit einem Blinzeln rasch durch das Portal zurück, konnte aber Miss Wickmans durchdringende Augen nach wie vor sehen. Sie huschte schnell durch eine Reihe weiterer Tore, bis sie eine kleine Kammer erreichte, die sich hinter ihrem eigenen Zimmer befand. Sie erreichte das Podest, auf dem sie das Zungenritual vollführt hatte, rieb sich die Augen, und das bedrohliche Antlitz der ersten Dienerin des Meisters war verschwunden.
    Was gut war.
    An Giselles Beunruhigung änderte es dagegen nichts.
    Die Frau hatte etwas gespürt. Eine Präsenz. Giselle vermutete zwar, dass die Dienerin auf dem Gebiet der magischen Künste nicht so bewandert war wie sie selbst – allein der Meister konnte dies von sich behaupten –, aber sie verfügte definitiv über gewisse Fähigkeiten. Mehr als ein gewöhnlicher Schüler jedenfalls. Hatte sie womöglich erkannt, wer sich auf der anderen Seite der Mauer befand? Besaß sie, wie Giselle, die Fähigkeit, seelische Spuren zu spüren, welche Menschen bei jeder Bewegung hinterließen?
    Giselle hoffte, dass das nicht der Fall war.
    Denn das würde bedeuten, dass die Frau ihr bis hierhin folgen konnte.
    Und dann wäre alles verloren.
    Sie fiel auf die Knie, schloss die Augen und schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen. Tränen bahnten sich ungehindert den Weg, als sie versuchte, mit den Göttern in Kontakt zu treten. Sie bündelte ihre gesamte Willenskraft, versuchte, sich vorzustellen, wie sie in jenes wundersame Reich zurückkehrte, das von ihnen bewohnt wurde, aber da war nichts. Nur Stille. Eine herzzerreißende Leere. Giselle spürte, wie Panik in ihr aufstieg. Hatten sie sie verlassen?
    Sie versuchte, sich zu beruhigen.
    Das Problem war ganz offensichtlich das wilde Durcheinander der Emotionen in ihrem Inneren. Es zerstörte ihre Konzentration und machte die Kommunikation mit dem Reich der Götter unmöglich. Also atmete sie tief ein und stellte sich den Bau einer Mauer vor. Stein auf Stein. Mörtelschichten, die zwischen den einzelnen Ziegelreihen aushärteten. Sie überhastete nichts. Langsam nahm die Barriere Gestalt an, und gleichzeitig verschwand auch das nervöse Zittern aus ihrem Körper. Ihre Atmung ging regelmäßiger. Sie spürte, wie die physische Welt sich auflöste. Als sie ihre Augen öffnete, war sie ganz verschwunden.
    Giselle befand sich nun bei den Göttlichen.
    Sie kommunizierte allein mit der Kraft ihres Geistes: Azaroth, ich flehe dich an.
    Ein Wirbel aus schwarzem Rauch teilte sich, und eine Gestalt erschien, die einem alten Mann in einer wallenden Robe glich. Giselle wusste, dass es nicht seine wahre Erscheinung war. Diese Wesen bestanden aus einer vollkommen anderen Materie – Götterstaub, wenn man es so nennen wollte – und das menschliche Auge war nicht dafür geschaffen, die wahre Erscheinung der Götter zu deuten. Daher erschufen sie eine Illusion. Sie erschienen den Menschen in einer Form, die ihr Verstand erfassen konnte. Für Giselle sah der Gott Azaroth aus wie der Darsteller des Moses in einer alten Bibelverfilmung, die sie vor langer Zeit gesehen hatte.
    Azaroth lächelte.
    Du hast mich gerufen?
    Sie erwiderte sein Lächeln.
    Sie liebte Azaroth.
    Ja.
    Warum?
    Giselles

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