Haus des Blutes
seinem leblosen Körper ab.
Sie stand auf, wandte sich von dem Toten ab und verließ die grausige Szenerie, ohne sich noch einmal umzudrehen. Sobald sie aus dem unmittelbaren Umfeld des Verkaufsstands verschwunden war, stürzte sich die Meute der Schaulustigen auf die Waren des toten Mannes. Sie fielen übereinander her, tauchten und schnappten nach den verstreuten Dosen und füllten ihre Jutesäcke, die sie als Einkaufstaschen benutzten.
Chad sah, wie die Frau, die den Verkäufer oral befriedigt hatte, nach einer Suppendose griff und davontrottete. Er ließ seinen Blick zu den in der Nähe postierten Wachmännern hinüberwandern, weil er erwartete, ein Anzeichen für baldige Bestrafung bei ihnen zu erkennen, aber sie rührten sich nicht von der Stelle. Unglaublich. Ein Mord in aller Öffentlichkeit und sie unternahmen überhaupt nichts. Es war ein Wunder, dass diese primitive Gesellschaft funktionierte.
Cindy nahm ihn bei der Hand und zerrte ihn an weiteren Händlern vorbei. Sie boten Kochutensilien, Tierfelle oder Brot an. Einer von ihnen verkaufte, wie er es nannte, »Schmuggelware« von Oben. Wertlose Kinkerlitzchen, wie sie auch in Tante-Emma-Läden und Raststätten an den Mann gebracht wurden. Schlüsselanhänger, Wegwerffeuerzeuge mit mehr oder minder sinnigen Sprüchen oder Matchboxautos.
Es befanden sich jedoch auch einige selbst gemachte Kuriositäten darunter, beispielsweise Plakate mit schlechten, lieblosen Zeichnungen eines langhaarigen Mannes, die vom Slogan »Lazarus rettet« begleitet wurden. Rund um diesen Stand wimmelte es von Kindern. Chad sah in ihre verdreckten Gesichter und beim Anblick dieser Schar zerstörter Unschuld hätte er sich am liebsten übergeben. Ein weiterer Händler mit »Schmuggelware« stapelte Pornozeitschriften meterhoch übereinander, während an einem anderen Stand tatsächlich Menschen feilgeboten wurden.
Chad sagte: »Das ist hier ja wie auf dem Wochenmarkt der Verdammten.«
Cindy nickte. »Da hast du recht. Aber hier Unten gibt es noch weitaus schlimmere Verfehlungen.«
Chad grunzte. »Scheiße.« Er ließ seine Augen über die lärmende Ansammlung von Dreck und Korruption schweifen. »Was könnte denn übler sein als das hier?«
»Nun, da wären zum einen die Live-Sexshows der Lehensherren. Sie zwingen ihre Sklaven, daran teilzunehmen.« Sie schaute Chad nicht an. »Das ist schlimmer. Hier gibt es nicht eine einzige Frau, die noch nicht dazu gezwungen worden wäre, ein paar ausgesprochen widerliche Abartigkeiten vor Publikum zu vollziehen. Du bist nicht länger in Kansas, Chad.«
Ihre Worte machten Chad traurig. Trotzdem überraschte ihn selbst diese Aussage nicht sonderlich. »Woher bekommen die Händler ihre Waren?«
»Die Wachen bringen sie von draußen mit. Einer der Tunnelarme führt zu einer Straße außerhalb des Berges. Sie beladen die Transporter mit irgendwelchem Billigscheiß aus Supermärkten und Rasthöfen, schaffen ihn hierher und verteilen ihn unter den Händlern. Die Händler sind befreite Sklaven. Die Lehensherren bleiben mit ihren Konkubinen und ihrem Schnaps in den Privatquartieren, während sich angeheuerte Schlägertypen um ihre Herden kümmern.«
Chad runzelte die Stirn. »Herden?«
»Sklaven.«
»Oh. Woher weißt du denn das alles?«
»Du hast doch gesehen, wie es hier läuft, Chad. Das sind nicht gerade Staatsgeheimnisse.«
Chad dachte darüber nach. »Ich sollte auch über diesen ganzen Scheiß Bescheid wissen. Welche Geheimnisse kennst du sonst noch?«
Sie legte ihre Stirn in Falten. »Hmmm, das ist vielleicht noch interessant: Wachen und Formwandler nicht mitgezählt, leben Unten über 5000 Menschen. Nicht alle von ihnen sind auf dieselbe Weise hergekommen wie du und ich – indem sie das Pech hatten, zufällig in das Gebiet des Meisters einzudringen. Hin und wieder brechen die Wachen zu Raubzügen auf, von denen sie jedes Mal ein halbes Dutzend Menschen mitbringen. Die Überlebensquote ist sehr gering und sie wollen eine gewisse Herdengröße erhalten.« Chad bemerkte, dass ein Anflug von Wut über ihr Gesicht huschte. »Du konntest dir inzwischen ja ein Bild davon machen, wie die Wachen hier gestrickt sind. Sie fangen meistens Frauen ein.«
»Warum gibt es hier so viele Sklaven?«
»Wie meinst du das?«
Chad runzelte die Stirn. Irgendetwas passte nicht zusammen. Etwas fehlte. Eine entscheidende Information klaffte als Lücke in seinem Puzzlespiel. »In der Geschichte dienten Sklaven als Arbeitskräfte. Ich wüsste nicht,
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