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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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erklären würden, hier zu arbeiten. Aber leider kann ich Ihnen nicht viel bezahlen.«
    »Das ist nicht nötig, Herr Doktor. Wir haben unser Auskommen«, erklärte sie. Sie streckte ihm förmlich ihre Hand entgegen. »Also ist es abgemacht?«
    Er drückte ihre zierliche, schmale Hand und verlor sich fast in ihren klaren, blauen Augen. Er musste sich zwingen, daran zu denken, dass sie verheiratet war. Und viele Jahre jünger als er selbst. »Und was ist mit Ihrem Kleinen?«
    »In der Zeit, in der ich in der Praxis bin, wird Lotte sich um ihn kümmern. Wann soll ich anfangen, Herr Doktor?«
    Er schluckte. »So bald wie Sie wollen, Frau Seymour. Wie wäre es mit Montag? Da ist normalerweise wenig Betrieb in der Praxis, und ich könnte Ihnen in Ruhe die Räumlichkeiten zeigen und alles erklären.«
    Ihr Lächeln ließ ihre Augen leuchten und seine Hände zittern.
    »Abgemacht. Ich werde Montagmorgen früh um neun Uhr hier sein«, sagte sie fast fröhlich, als wären sie alte Bekannte. »Auf Wiedersehen, Herr Doktor. Und bitte nennen Sie mich Victoria. ›Reichen Sie mir das Jod, Frau Seymour‹, würde vor den Patienten seltsam klingen.«
    »Wie Sie möchten«, sagte er und spürte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg. »Auf Wiedersehen, Frau … Verzeihung, Victoria.«
    Sorgfältig schloss er die Tür hinter ihr.
    Du alter Narr!,
schimpfte er mit sich.
Das Mädchen könnte deine Tochter sein!
Außerdem war sie mit einem ehrlichen, aufrichtigen Mann verheiratet und hatte einen kleinen Sohn. Er kam zu spät. Wenn er jedoch ein paar Jahre jünger gewesen wäre, wären ihm Ehemann und Sohn vermutlich gleichgültig gewesen. Das Leben war zuweilen ungerecht.
    Friedrich seufzte. Er ging zu seinem Sessel zurück und hob die Zeitung vom Boden auf. Einen Augenblick blieb er stehen und betrachtete die Überschriften auf der Titelseite. Die großen Buchstaben konnte er gerade noch erkennen, der Rest verschwamm vor seinen Augen in einem grauen Nebel. Warum nahm er sich das
Ärzteblatt
immer wieder vor? Lesen konnte er es schon lange nicht mehr, abgesehen von den großgedruckten Titelzeilen. Dabei war es gleichgültig, ob er die Brille aufsetzte oder nicht. Doch er tat es, um den Schein zu wahren. Wenn einer seiner Freunde zu ihm kam, sollten sie nicht sofort bemerken, dass seine Sehkraft immer schlechter wurde. Vor allem aber täuschte er sich selbst. Wie würde es in Zukunft gehen, wenn Victoria ihm als Schwester zur Seite stand? Schwer vorstellbar, dass er sein Gebrechen lange vor ihr verheimlichen konnte. Sie war zu aufmerksam, zu intelligent. »Verdammt!«, schimpfte er laut und schlug mit dem
Ärzteblatt
wütend auf den Tisch. »Du wirst allmählich alt und senil. Daran hast du nicht gedacht!«
     
    Die Entscheidung, zukünftig in Doktor von Kolles Praxis auszuhelfen, teilte Victoria John noch am gleichen Abend mit. Sie waren gerade mit dem Essen fertig, das Geschirr war noch nicht abgeräumt.
    »Nein«, sagte er und stellte sein Glas ab.
    »Nein?« Sie runzelte unwillig die Stirn. »Was willst du damit sagen?«
    »Ganz einfach: Ich möchte nicht, dass du aus anderen als rein gesundheitlichen Gründen in die Praxis dieses unverschämten, ungehobelten Kerls gehst. Schon gar nicht allein.«
    »Aber John, das ist doch lächerlich. Ich bin eine erwachsene Frau. Er weiß, dass ich verheiratet bin, und Apia ist ein kleines Nest. Er wird mich doch nicht …«
    »Ich will es nicht!«, brüllte er und ließ seine Faust auf den Tisch donnern, so dass Geschirr und Gläser klirrten. »Nein! Und damit Schluss!«
    Victoria zuckte erschrocken zusammen. Einen derartigen Ausbruch hatte sie bei ihrem Mann noch nie erlebt. Vielleicht wäre es besser gewesen, zu schweigen und das Gespräch auf einen anderen Zeitpunkt zu verschieben, doch gerade seine unbegründete, maßlose Wut reizte sie selbst zum Zorn.
    »Wenn das alles ist, was du an Argumenten vorweisen kannst, steht mein Entschluss endgültig fest«, sagte sie und faltete ihre Serviette sorgfältig zusammen. »Von Montag an werde ich in Doktor von Kolles Praxis arbeiten.«
    »Nein!«, schrie John und sprang auf. »Du hast mit Haus und Familie genügend Aufgaben zu erfüllen.«
    »Welche denn?«, fragte sie spöttisch. »Auf der Veranda sitzen und Tee trinken? Oder den Nachmittag bei einem dieser dämlichen Weiber verbringen und mir das Gerede anhören, was dieser oder jener in Apia gerade getan oder nicht getan hat?« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Das kannst du nicht von mir

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