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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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verlangen. Ich erwarte mehr vom Leben als das. Wenn ich wenigstens mit dir reden könnte, wäre es etwas anderes. Aber du bist nie da.«
    »Wie denn auch!« John stürmte aufgebracht mit langen Schritten durch das Zimmer. »Ich arbeite. Schon vergessen? Ich baue gerade ein Kontor auf, und die Handelsbeziehungen zu den Plantagenbesitzern und Reedern gedeihen nicht, wenn ich zu Hause auf der Veranda sitze. Ich muss die Leute besuchen, mit ihnen reden und mit ihnen trinken, um sie davon zu überzeugen,
mir
ihr Kopra anzuvertrauen und nicht einem der anderen Händler. Außerdem habe ich Angestellte, um die ich mich kümmern muss, die Schiffspassagen, den Schriftverkehr. Und das alles nur für euch!«
    »Für uns? Wenn du etwas für uns tun würdest, John, wärest du nicht nur zum Schlafen zu Hause!«
    »Und was soll ich hier, wenn meine Frau den ganzen Tag bei einem Arzt arbeitet?«
    Sie sah ihren Ehemann entgeistert an. Sein Gesicht war vor Zorn dunkelrot angelaufen. »Es hat offenbar heute keinen Zweck, mit dir zu sprechen«, sagte sie und erhob sich. »Ich ziehe mich zurück. Vielleicht können wir morgen ein vernünftiges Gespräch führen. Jetzt bist du von Sinnen.«
    »Nein, du bleibst hier!«, schrie John und stellte sich ihr in den Weg. »Du bleibst, bis du mir versichert hast, dass du nicht zu diesem Kolle in die Praxis gehst.«
    »Dann wird das offenbar eine lange Nacht werden«, entgegnete sie kühl. »Ich habe ihm nämlich schon zugesagt. Am Montag fange ich an.«
    »Das wirst du nicht tun!« Er packte sie am Arm, seine Gesichtsfarbe wechselte von Dunkelrot zu Weiß.
    »Und wie willst du das verhindern?«, rief Victoria. »Willst du mich in meinem Zimmer einschließen?«
    Er schüttelte den Kopf, seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Du wirst das nicht tun«, wiederholte er langsam. »Eher werde ich …«
    Ein Zittern ging durch das Haus. Der Holzboden unter ihren Füßen bebte, der Tisch wackelte hin und her, das Geschirr klirrte, ein Glas fiel um und Palmenbier ergoss sich über das weiße Tischtuch. Die Lampe an der Decke pendelte hin und her, die Bilder an den Wänden schwankten. Dann war es ruhig. John und Victoria sahen einander erschrocken an.
    »Wa… was wa… war da… das?«, stotterte John nach einer Weile, und im selben Augenblick ging es erneut los, stärker als zuvor.
    Der Tisch tat einen Satz vorwärts, Geschirr und Gläser fielen zu Boden und zersprangen. Die Stühle purzelten durcheinander und wanderten quer durch den Raum. Die Dielen bogen sich und zerbarsten unter grässlichem Knacken. Eines der Bilder fiel von der Wand, die Standuhr stürzte mit Getöse um. Victoria schrie vor Angst. Sie wollte sich festhalten – aber woran, wenn selbst die Wände wackelten?
    Dann durchzuckte sie ein Gedanke: »Alexander! Er ist allein oben in seinem Zimmer!«
    Gleichzeitig mit John versuchte sie sich einen Weg aus dem Esszimmer in die Halle zu bahnen. Immer noch schüttelte sich das Haus, als hielte es eine riesige Hand am Kragen gepackt. Fensterscheiben klirrten.
    »Da kommen wir nicht hinauf«, klagte sie beim Anblick der schwankenden Treppe.
    »Doch. Gemeinsam schaffen wir es!« John nahm sie bei den Armen und half ihr die Stufen empor.
    Nie zuvor war Victoria der Weg zum Kinderzimmer so lang erschienen. Sie hatte das Gefühl, in einem abscheulichen Alptraum gefangen zu sein. Sie bahnten sich ihren Weg über aufgesprungene Dielen, zerbrochene Vasen und Bilder zu der Tür am Ende des Flurs. Sie hatten sie gerade erreicht, als der Spuk ebenso plötzlich aufhörte, wie er begonnen hatte. Das Haus war ruhig.
    John und Victoria blieben wie erstarrt stehen und sahen sich voller Angst an. Es hatte schon einmal eine kurze Unterbrechung gegeben, nur um danach noch schlimmer zu werden. Wenn es diesmal wieder so sein würde? Es war still. So unglaublich still, dass sie kaum zu atmen wagte. Stumm zählte sie ihre Herzschläge. Eins … zwei … drei. Nichts geschah. Fünf … sechs … sieben … Immer noch nichts. Das letzte Mal hatte es höchstens eine Minute später wieder begonnen. Die Minute war bereits um. War es jetzt vorbei? Sie wagte kaum zu hoffen. Neun … zehn … Mitten in die Stille hinein erklang das Weinen eines Kindes.
    »Alexander!«, riefen sie beide wie aus einem Mund und rissen die Tür zum Kinderzimmer auf.
    Das Zimmer war verwüstet, als hätte ein Sturm darin getobt. Der Wäscheschrank war umgestürzt, die Bilder hingen schief, die Gardinenstange war

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