Haus des Todes
eine Familie hatte, ob er Kinder zurückgelassen hat. Er hätte das nicht ertragen. Der Grund dafür, dass er keine weiteren Selbstmordversuche mehr unternahm, war dieser Cop – Caleb begriff, dass er für seine Taten eine Strafe verdient hatte, wie jeder andere auch. Sich umzubringen – nein, dem Polizisten schuldete er mehr. Er war es ihm schuldig, für seine Tat zu büßen, doch jetzt, nach fünfzehn Jahren, hat er genug gebüßt. Wie Jessica, Lara und sein ungeborener Sohn ist dieser Cop gestorben, weil Dr. Stanton sich für den falschen Mann eingesetzt hat.
Caleb hat keine Ahnung, ob die Leute, die jetzt sein Haus bewohnen, dieselben sind, die es vor fünfzehn Jahren gekauft haben. Der Zaun ist neu, das Dach wurde gestrichen, und der Garten sieht völlig anders aus als damals; einige der Bäume, die er gepflanzt hat, stehen noch, aber der Großteil wurde herausgerissen und ersetzt. Im Großen und Ganzen ist das Haus aber immer noch dasselbe. Im Innern brennt Licht. Am liebsten würde er klingeln und fragen, ob er es sich mal anschauen darf. Hinter diesen Wänden verbergen sich Erinnerungen, kurze Momente seines Lebens, unbedeutende Tage, die ihm dort wieder ins Gedächtnis kämen. Und für einen Augenblick, wenn auch nur für eine Sekunde, wäre die Welt wieder in Ordnung.
»Wo sind wir?«
Katys Stimme reißt ihn aus seinen Gedanken. Er dreht sich um und sieht, wie sie sich mit den Handrücken die Augen reibt, so wie Jessica es auch immer getan hat, wenn sie bei Fahrten im Auto länger als eine halbe Stunde eingeschlafen war. Sie beugt sich nach vorn und umklammert die Hand ihrer Schwester, die immer noch schläft.
»Leg dich wieder hin«, sagt Caleb zu ihr mit leiser Stimme.
»Ich bin nicht müde. Wo ist Melanie?«
»Sie ist nicht hier.«
»Wo ist sie?«
»Melanie war ein artiges Mädchen, darum habe ich sie gehen lassen. Sie hat aufgehört zu reden und den Mund gehalten, als ich es wollte, und sie hat nicht ständig Fragen gestellt.«
»Wo ist Daddy?«
»Das ist ein schlechter Einstieg, Katy«, sagt er.
»Was meinst du damit?«
»Damit meine ich, dass du nicht besonders gut den Mund halten kannst.«
»Ich halte sofort den Mund, wenn ich weiß, wo Daddy ist.«
Er verdreht die Augen. Jessica war früher genauso. Es ging immer schneller, wenn man ihre Fragen beantwortete. »Er ist im Kofferraum.«
»Warum?«
»Weil ich nicht wollte, dass er mit dir zusammen auf der Rückbank sitzt.«
»Warum?«
»Weil da nicht genug Platz ist.«
»Er hätte auf dem Beifahrersitz sitzen können und Octavia hier bei mir.«
»Ich wollte ihn nicht auf dem Beifahrersitz haben. Sondern im Kofferraum, da, wo er jetzt liegt.«
»Er hätte hier hinten auch Platz gehabt.«
»Du hörst mir nicht zu.«
»Ist das da dein Haus?«
Vielleicht geht es so doch nicht schneller. »Weißt du, was das heißt, den Mund halten?«
Sie nickt.
Er nickt ebenfalls. Und seufzt. »Ja, ich habe hier mal gewohnt.«
»Mit deiner Frau?«
»Ja.«
»Und deiner Tochter?«
»Ist lange her.«
»Bis ein böser Mann sie dir weggenommen hat.« Sie beißt sich auf einen Fingerknöchel und nuckelt ein paar Sekunden daran, dann nimmt sie ihn heraus und legt ihn auf die Unterlippe. »Bist du auch ein böser Mann?«
»Ja«, sagt er, aber er ist kein Monster.
»Hast du Melanie was angetan?«
»Nein.«
»Schwörst du?«
»Ja.«
»Wirst du Octavia was tun?«
»Nein.«
»Wirst du meinem Dad was tun?«
»Ja.«
»A… a… aber das darfst du nicht«, sagt sie.
Er versucht, etwas für das Kind zu empfinden, etwas Mitgefühl. Ist er schon so jenseits von allem, dass er nichts mehr fühlt? Er durchforstet sein Inneres, gründlich, und er wünscht sich, dass da irgendetwas ist, es muss doch was da sein, wenn sie ihn an Jessica erinnert.
Aber er ist nicht mehr der Mann von damals.
Katy fängt an zu weinen, so laut, dass er ihr Gesicht zudecken muss. Und hinten fängt Stanton an, gegen den Kofferraum zu hämmern. Der Scheißkerl ist wach. Katy blickt auf, ihre Augen sind rot, und, ja, sie tut ihm leid. Sie trifft keinerlei Schuld. Ihr Vater hat sie da reingeritten, aber sie ist ein Mittel, ein Mittel zum Zweck.
Er sollte das besser nicht vergessen.
»Daddy«, schreit sie.
»Halt die Klappe«, sagt Caleb mit tiefer, schroffer Stimme. »Noch ein Wort, und es passiert was. Verstanden?«
Sie hört auf zu schreien. Aber das Hämmern im Kofferraum wird lauter. Das Letzte was er jetzt gebrauchen kann, ist, dass es jemand hört. Er wirft
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