Haus des Todes
furchtbar«, sagt Barlow mit leicht zitternder Stimme. »Sie haben beide selbst Kinder«, sagt er, dann sieht er mich an und schüttelt den Kopf. »Tut mir leid. Ich hab nicht dran gedacht.«
Er hält einen Moment inne, so lange, wie er es anscheinend
für angemessen hält, dann fährt er fort. »Melanie hat gesagt«, setzt er an und hält erneut inne, diesmal um sich zu sammeln. Er lächelt angestrengt, wie es Menschen tun, wenn etwas zu schrecklich ist, um es zu erzählen. »Melanie hat gesagt, Cole habe ihrem Vater heute Morgen erzählt, dass er sie und ihre Schwestern töten würde.«
Barlow nestelt am Kragen seines Hemdes herum und blickt uns direkt in die Augen.
»Sie hat gesagt, es würde heute Nacht passieren, draußen im Schlachthof. Caleb habe mit leiser Stimme gesprochen, damit sie ihn nicht hörten, trotzdem hat sie Teile davon verstanden. Sie hat erzählt, er sei über Mittag weg gewesen und am Nachmittag voller Hektik zurückgekehrt, wobei er einen panischen Eindruck gemacht habe. Dann hat er ihnen die Cola gegeben.«
»Er hat sie betäubt«, sagt Schroder.
Barlow nickt. »Melanie spürte, wie sie langsam müde wurde, und wusste, dass er ihr ein Betäubungsmittel verabreicht hatte, und sie tat so, als würde sie einschlafen. Bevor sie dann tatsächlich das Bewusstsein verlor, hörte sie einen Teil des Gesprächs, das Cole mit ihrem Vater führte. Er erklärte Stanton, dass sie eine seiner Töchter zurücklassen würden und dass diejenige sterben müsste. Stanton sollte auswählen, welche.«
Für einen Moment versuchen wir, uns das vorzustellen. Wir drei versetzen uns in die aussichtslose Lage zu entscheiden, wer sterben und wer leben soll. Mein Magen und mein Brustkorb fühlen sich plötzlich sehr leer an. In
meinem Nacken bildet sich kalter Schweiß. Nach welchen Kriterien soll man so eine Entscheidung treffen? Wie kann man das überhaupt? Das geht nicht – es scheint allerdings so, als hätte Caleb damit gedroht, alle Kinder zu misshandeln oder zu töten, bis Stanton eine Entscheidung trifft. Aber selbst dann ist es unmöglich. Wie soll man jemanden auswählen?
Das geht nicht.
Das geht einfach nicht.
Und trotzdem hat es Stanton irgendwie geschafft. Er war stark genug, einen Namen zu nennen, um die beiden anderen zu retten. Stärker, als ich es je gewesen wäre, vielleicht sogar als irgendjemand in diesem Zimmer. Er hat sich für einen Namen entschieden, um die beiden anderen Mädchen zu retten.
Nicholas Stanton steht wahrscheinlich kurz vor einem Nervenzusammenbruch.
»Melanie schrie laut auf, als sie das hörte, tat aber weiter so, als würde sie schlafen. Cole sagte zwar, wenn eine von ihnen sich schlafend stellen würde, würde er sie bestrafen, dennoch verriet sie sich nicht. An das, was danach passierte, kann sie sich kaum erinnern, sie weiß nur noch, dass sie große Angst hatte. Und dann kam sie im Krankenhaus wieder zu sich.«
»Das arme Schwein«, sagt Schroder.
Barlow nickt. »Sie betrachten es von Stantons Standpunkt aus, und das ist nur zu verständlich, Sie sind ja selbst Vater. Aber betrachten Sie es mal aus Melanies Perspektive. Sie hat eins und eins zusammengezählt. Die
Sache mit dem Kunstblut. Das Betäubungsmittel. Ihr ist klar, dass Cole ihren Tod nur inszeniert hat. Und das heißt, sie weiß, dass ihr Vater sich entschieden hat, sie statt einer ihrer Schwestern dazulassen. Sie hat zwar überlebt, aber für sie ist eine Welt zusammengebrochen. Sie ist diejenige, die ihr Vater dazu bestimmt hat zu sterben.«
»Scheiße, Mann«, sagt Schroder. »Wird sie je wieder in Ordnung kommen?«
»Würden Sie das?«
»Wohl kaum.«
»Glauben Sie, dass Cole den anderen Töchtern etwas antut?«, frage ich.
Barlow starrt mich für ein paar Sekunden an, während er darüber nachdenkt. Er wackelt dabei zögernd mit dem Kopf. »Unwahrscheinlich«, sagt er schließlich. »Er hat ihr auf die Stirn Es tut mir leid geschrieben. Sie sagt, dass er ihren Vater zwar schlecht behandelt habe, dass er aber versucht habe, zu ihr und ihren Schwestern freundlich zu sein, dass er sie nur angeschnauzt habe, wenn er unter großem Stress stand. Ich denke, dass ihm die Kinder aufrichtig leidtun. Trotzdem wird er sie dazu benutzen, sein Ziel zu erreichen.«
»Und das wäre?«
Barlow zuckt mit den Schultern. »Wenn er es nur darauf abgesehen hätte, Stanton zu töten, hätte er das längst getan. Und wenn er Stanton davon überzeugen will, dass alle drei Mädchen tot sind, dann hätte er das
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