Haus des Todes
so viele andere Leute, die sie im Stich gelassen haben.
Ich weiß, dass Du wütend bist wegen dem, was Jessica widerfahren ist, darum wirst Du das hier auch für Dich behalten – das Mädchen hat die Frau, die Whitby im Prozess verteidigt hat, verletzt. Sie ist genauso wütend wie wir. Und diese Wut wird mich durch die nächsten sieben Jahre tragen. Wenn ich hier rauskomme, das schwör ich, werde ich diejenigen büßen lassen, die Jessica und diesem Mädchen – und in gewisser Weise auch Dir – wehgetan haben. Ich weiß, dass Du Schuldgefühle hast wegen dem, was passiert ist (wie sollte es auch anders sein?), und es tut mir leid, dass meine beschissenen Briefe, die ich Dir in den letzten Jahren geschickt habe, das nur noch schlimmer gemacht haben. Ich hasse Dich nicht und gebe Dir keinerlei Schuld.
Der Besuch des Mädchens war wie ein Zeichen für mich. Rache ist alles, was mir noch bleibt. Der Knast verändert mich, in meinem Innern wächst etwas heran, das ein Mithäftling von mir »Die Dunkelheit« nennt. Er glaubt, dass ich zum Zeitpunkt meiner Entlassung zu
allem fähig sein werde, dass dann die Dunkelheit ein Verlangen entwickelt hat, das sich Befriedigung sucht.
Ich würde Dich gerne treffen, wenn ich entlassen werde. Ich würde gerne sehen, was aus Dir geworden ist. Du warst die beste Freundin meiner Tochter, und für Deine Freundschaft zu ihr bin ich Dir wirklich dankbar. Ich hoffe, Du schreibst mir zurück. Ich fände es schön, wenn Du mich irgendwann mal besuchst, aber ich kann auch verstehen, wenn Du das nicht willst. Ich bin kein Monster. Ich würde Dir nie etwas antun. Ich bin ein Vater, und leide – ich habe Jessica so sehr geliebt, ich habe meine Frau geliebt, und diese Leute haben sie mir genommen. Sie werden weiteren Menschen wehtun, und sie müssen zur Rechenschaft gezogen werden.
Ich wünsche Dir alles Gute und ein wunderschönes Leben,
Caleb
Wenn Harvey Chancellor den Brief der Polizei gegeben hätte, hätten all die Toten verhindert werden können. Oder wir hätten nach Coles erstem Mord sofort eine Verbindung herstellen können. Und Tabitha Jenkins wäre verhaftet worden und in den Knast gewandert – das wäre der Preis dafür gewesen. Die Verhaftung einer Frau hätte vier Menschenleben gerettet, vielleicht sogar mehr.
Mein Wagen verfügt nicht über die technische Ausstattung eines Streifenwagens, darum kann ich auch nicht auf einem eingebauten Computer Tabithas Adresse nachschauen, doch seit zwei Jahren habe ich die Angewohnheit,
ein Telefonbuch mit mir herumzukutschieren. Ich schlage ihre Anschrift nach, und auf dem Weg dorthin rufe ich Harvey Chancellor an.
»Sie hätten viele Menschenleben retten können«, sage ich zu ihm.
»Ich weiß.«
»Haben Sie gar kein schlechtes Gewissen?«
»Die Kinder des Arztes tun mir leid, sicher, aber die anderen? Nein. Scheiß auf sie«, sagt er und klingt anders als der Harvey Chancellor, der mir Kaffee schlürfend im Wohnzimmer gegenübersaß. »Diese Leute haben ihre Leben zerstört, Detective. Und vergessen Sie nicht, was Sie versprochen haben. Ich will morgen nicht in den Nachrichten lesen, dass Sie Tabitha verhaftet haben. Sie haben mir Ihr Wort gegeben.«
»Wir werden sie nicht verhaften«, erkläre ich. »Aber Sie hätten vor sieben Jahren zu uns kommen sollen. Wir hätten einen Deal machen können.«
»Sie hätten sie ins Gefängnis gesteckt.«
»Sie hat einen Menschen ins Koma befördert!«
»Und Victoria Brown hat geholfen, Jessica ins Grab zu bringen.«
Er legt auf. An einer Kreuzung hält ein Wagen neben mir, das Seitenfenster wird runtergelassen, und der Beifahrer beugt sich heraus und kotzt auf die Außenseite der Tür. Als er mich bemerkt, zeigt er mir den Stinkefinger und brüllt mir zu, ich solle mich verpissen, um dann in hysterisches Gelächter auszubrechen.
Kurz darauf erreiche ich Tabitha Jenkins’ Haus. Es ist
ein kleines Gebäude in einer ruhigen Straße mit lauter gepflegten Gärten. Ich stopfe den Brief in meine Tasche und gehe zur Tür hinauf. Ich klopfe und warte, dann klopfe und warte ich erneut. Es brennt Licht im Haus, aber niemand öffnet. In der Auffahrt steht kein Wagen. Ich laufe zur Garage rüber und werfe einen Blick durch das Fenster. Im Innern steht ein Wagen. Doch nicht das geringste Lebenszeichen. Häuser haben immer eine ganz bestimmte Atmosphäre – als Cop wusste ich stets, ob tatsächlich keiner da war oder ob man mir einfach nur nicht öffnete. Und dieses Haus scheint
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