Haus des Todes
nur, dass in zehn Minuten alles gut sein wird. Er wird diesen ganzen Mist hinter sich lassen und den Blick nach vorn richten.
Vor einigen Wochen hat er die Telefonnummern der Reporter, die er anrufen wollte, in seinem Handy gespeichert. Er ruft eine davon auf und drückt die Wahltaste. Ein Klingeln ertönt. Er steht im Türrahmen und betrachtet den Arzt, der immer noch schläft. Ebenso wie Katy. Alle drei Mädchen wären besser dran, wenn ihr Vater nicht mehr lebte.
»Hallo?«
»Hallo, hier spricht …«, setzt er an, doch er wird abgelenkt, als er hört, wie im Fernseher im Nebenzimmer der Moderator seinen Tonfall ändert.
»Es folgt ein dringender Aufruf, den Superintendent Dominic Stevens an Caleb Cole richten wird. Wir schalten jetzt live zu ihm.«
»Hallo?«, sagt die Stimme erneut.
Caleb legt auf und geht ins Schlafzimmer. Die Kamera zoomt auf Superintendent Dominic Stevens, der hinter einem Podium steht. Es sind Mikrofone und Kameras zu sehen. Stevens umklammert die Ränder des Podiums und wirft einen Blick auf seine Notizen.
Er hustet ein paarmal leise in die Hände, bis Stille einkehrt. Dann hebt er den Kopf und schaut Richtung Kamera, direkt ins Objektiv, direkt zu Caleb Cole. So eindringlich, dass Caleb tatsächlich einen Blick über die Schulter wirft, um sich zu vergewissern, dass niemand hinter ihm steht.
»Ich werde eine Stellungnahme verlesen«, fängt Stevens an. »Fragen werde ich nicht beantworten. Wie Sie alle wissen, suchen wir Caleb Cole, um ihn zu den vier Morden der letzten zwei Tage sowie zu der Entführung von Dr. Stanton und seiner Familie zu verhören. Dieser Aufruf ist an Sie gerichtet, Caleb, wir hoffen, dass Sie gerade zusehen. Vor knapp einer Stunde hat sich der Hausarzt von Octavias Familie mit uns in Verbindung gesetzt und uns über ein angeborenes Herzleiden der kleinen Octavia informiert, das es erforderlich macht, sie unter
ständiger Beobachtung zu halten und ihr regelmäßig Medikamente zu verabreichen. Bitte, Caleb, Octavia ist erst ein Jahr alt, sie ist verängstigt, und ohne die Medikamente besteht ein beträchtliches Risiko für sie, einen Herzstillstand zu erleiden. Bitte, denken Sie daran, wie verletzlich sie ist. Wir fordern Sie auf, sich zu stellen, damit wir uns um Octavia und Katy kümmern können. Bitte, Caleb, wenn Ihnen das nicht möglich scheint, dann setzen Sie sie wenigstens in einem Krankenhaus ab, damit man ihr helfen kann. Sie muss alle zwölf Stunden ihre Medikamente einnehmen und hat bereits eine Einnahme verpasst, von der ihr Leben abhängen kann. Überprüfen Sie ihren Puls und ihre Gesichtsfarbe. Ist sie verschwitzt, schlägt ihr Herz langsamer? Sie dürfen keine Zeit verlieren, Caleb, Octavia braucht auf der Stelle Hilfe. Sie sind selbst Vater, und ich auch, und als Vater flehe ich Sie an, lassen Sie es nicht zu, dass dies zu Ihrem Vermächtnis wird. Dass man sich an Sie als einen Mann erinnert, der ein einjähriges Baby getötet hat.«
Stevens nimmt seine Notizkarten und klopft sie auf, sodass sie bündig aufeinanderliegen. »Danke«, sagt er und tritt vom Podium fort. Es werden ein Dutzend Fragen gleichzeitig gestellt, und die Wörter vermengen sich zu einem undurchdringlichen Gewirr. Doch Stevens geht einfach weiter.
Cole schaltet den Fernseher aus. Er hat eine Gänsehaut, ihm gefriert das Blut in den Adern. Selbst sein Mund kribbelt.
»Scheiße«, sagt er in die Dunkelheit des Zimmers hinein.
»Scheiße«, wiederholt er, während er die kleine rote Standby-Leuchte des Fernsehers anstarrt.
Er geht ins andere Schlafzimmer und schüttelt Stanton hin und her, doch der wacht nicht auf, und nach ein paar Sekunden wird ihm klar, dass es gut so ist. Würde er den Arzt nach dem Gesundheitszustand seiner Tochter fragen, würde er ihm verraten, dass sie noch am Leben ist. Aber warum zum Henker hat Stanton das ihm gegenüber nicht erwähnt? Oder eine der Schwestern?
Es liegt auf der Hand. Die Polizei hat gelogen. Sie wollen ihn dazu bringen, das dritte Mädchen freizulassen – das ergibt allerdings keinen Sinn, denn ihnen muss doch klar sein: Da er Melanie nichts getan hat, wird er den anderen Mädchen auch nichts tun.
Aber wenn das keinen Sinn ergibt – was folgt dann daraus? Ist es möglich, dass die Mädchen und der Vater im Sog der Ereignisse vergessen haben, Octavias Krankheit zu erwähnen?
»Katy«, sagt er und schaut zu dem kleinen Mädchen, »ich brauche deine Hilfe, damit ich mich um deine Schwester kümmern kann.«
Doch auch
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