Haus des Todes
vermisst werden, und nicht den geringsten Schimmer, wo sie sind. Morgen – ja, morgen ist ein neuer Tag, oder? Weißt du noch, heute Morgen in der Leichenhalle? Weißt du noch, wie ich gesagt habe, es wäre vielleicht an der Zeit, sich nach etwas Neuem umzuschauen? Hey, vielleicht ist das hier nur zu meinem Besten.«
Er erhebt sich und geht an mir vorbei. Ich folge ihm ins Schlafzimmer, wo Tabitha inzwischen die Windel gewechselt hat. Cole hat ihr die Tüte mit den Windeln dagelassen.
»Erzählen Sie uns, was letzte Nacht passiert ist«, sagt Schroder.
Sie gibt Octavia einen kleinen Teddybär, und die Kleine wirft ihn fort und krabbelt hinterher. Tabitha setzt sich auf die Bettkante und fängt an zu erzählen. Währenddessen hebt Octavia den Bären auf, bringt ihn zurück und gibt ihn Tabitha. Diese drückt ihn ihr erneut in die Hand, worauf Octavia ihn abermals fortwirft und hinterherkrabbelt.
Tabitha erzählt, sie habe gerade ein Buch gelesen, als es an der Tür klopfte. Sie öffnete, und es war Caleb Cole. Er
benötigte für ein, zwei Tage einen Unterschlupf, doch sie habe ihm erklärt, dass er nicht bei ihr bleiben könne.
»Hat er gesagt, warum er Sie um Hilfe gebeten hat?«, fragt Schroder.
»Ich schätze, er ist verzweifelt, und er dachte, dass Tabitha auf seiner Seite ist«, sage ich schnell.
Tabitha mustert mich eingehend. Wir beide wissen, dass Cole bei ihr aufgekreuzt ist, weil sie Victoria Brown verletzt hat. Schroder bemerkt, wie sie mich anschaut, und wirft mir einen ähnlichen Blick zu.
»Ich habe ihn aufgefordert, die Mädchen und ihren Dad bei mir zu lassen, aber das wollte er nicht«, sagt Tabitha und zieht die Aufmerksamkeit wieder auf sich. Sie spricht selbstbewusst, ohne zu stocken oder sich zu korrigieren. »Er hat mich gefragt, ob ich die Polizei verständigen würde, und ich sagte Ja. Am Ende haben wir einen Deal gemacht. Er meinte, er würde eines der Kinder bei mir lassen, wenn ich ein paar Schlaftabletten nehme. Er wusste, dass meine Freundin morgen nach Hause kommt. Ich bin auf das Angebot eingegangen. Andernfalls wäre er mit beiden Kindern wieder abgezogen.«
»Sie haben ihn im Gefängnis besucht«, sagt Schroder. »Ein einziges Mal. Warum?«
Sie scheint überrascht, und ich bin es ebenfalls. Irgendwann im Lauf der letzten paar Stunden muss Schroder Coles Besuchsprotokolle überprüft haben.
»Warum? Schwer zu erklären«, sagt sie, »na ja«, und dann gerät sie ins Stocken, und ihre ungezwungene Art zu reden wird etwas weniger ungezwungen. »Er hat mir
leidgetan. Keine Frage. Er hat den Mann getötet, der mir wehgetan hat, und ich …« Sie zögert und bestätigt so ihre Äußerung, dass es schwer zu erklären ist.
»Haben Sie sich bei ihm bedankt?«, fragt Schroder.
»Äh … nein … eigentlich nicht«, sagt sie und schüttelt den Kopf. Schroder mustert sie misstrauisch. Und sie fährt fort. »Schön, okay, vielleicht habe ich mich bei ihm bedankt. Er hat mehr gelitten, als Sie sich vorstellen können«, sagt sie.
»Erzählen Sie uns, was er mit Dr. Stanton vorhat«, sage ich. »Hat er viel von ihm geredet?«
Sie hält inne und lässt die Augen umherwandern, und dann fällt ihr etwas ein. Ich schaue zu Schroder, er erwidert meinen Blick, und wir beide warten. Sie braucht ein paar Sekunden, aber dann spricht sie es aus. »Es ist merkwürdig«, sagt sie, »aber er meinte, er habe nicht vor, Dr. Stanton zu töten.«
Ich trete näher, Schroder ebenfalls. Octavia hebt den Teddy auf, wirft ihn ein Stück weiter fort und krabbelt wieder hinterher. »Warum finden Sie das merkwürdig?«, frage ich.
Langsam fängt sie an zu nicken. »Er sagte, er werde ihn laufen lassen. Er hat versprochen, dass er keinem von ihnen wehtun wird.«
»Hat er gesagt, was er damit meint?«, fragt Schroder.
Sie schüttelt den Kopf. »Aber ich glaube ihm. Er hat keinen Grund zu lügen. Ich meine, warum sollte er? Außerdem hat er das Versprechen gehalten, das er mir heute Abend gegeben hat.«
Schroder schüttelt jetzt ebenfalls den Kopf. »Das ergibt keinen Sinn.«
Ich fange an zu nicken. Und jetzt bewegen wir alle unsere Köpfe, allerdings nicht synchron und unterschiedlich schnell. »Sehe ich genauso. Es ist völlig ausgeschlossen, dass er Stanton laufen lässt.«
»Doch, das wird er«, sagt sie; sie ist tatsächlich davon überzeugt und nickt nachdrücklich. »Und er hat noch etwas gesagt. Er will, dass sich Dr. Stanton für eine Weile in ihn hineinversetzt.«
»Darum tut er so, als
Weitere Kostenlose Bücher