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Haus des Todes

Haus des Todes

Titel: Haus des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Cleave
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Sicherheit bringen.
    Fünfzehn Jahre  – sein Sohn wäre jetzt vierzehn, seine Tochter fünfundzwanzig. Eine Vielzahl von Möglichkeiten  – er selbst könnte jetzt Großvater sein, seine Tochter Ärztin oder Künstlerin und sein Sohn ein Einserschüler, der davon träumt, in einer Band zu spielen. Durch ihren
frühzeitigen Tod bleiben es für alle Zeiten unendlich viele Möglichkeiten.
    Auf dem Friedhof ist es kalt und feucht, und während er reglos am Grab steht, sinkt er mit den Füßen ein wenig in dem aufgeweichten Rasen ein. Insgesamt drei Gräber, eines davon ist leer und wartet auf ihn. Er wird neben seinen Kindern liegen, die vor fünfzehn Jahren ermordet wurden; seine Frau wurde ebenfalls ermordet, von den Menschen, die zu gleichgültig waren, um es zu verhindern. Ignorant, träge und dumm.
    Seine Frau hat ihn gehasst für das, was er getan hat. Laut Gerichtsmediziner hat sie fünfzig Tabletten genommen. Das ist eine Zahl, mit der er leben muss und die deutlich macht, wie groß ihr Wunsch war, ihn zu verlassen. Er konnte ihr damals nicht helfen. Als sie starb, saß er im Gefängnis, er war ohne Prozess in den Bau gewandert, obwohl er bei der Polizei und vor Gericht ein Geständnis abgelegt und auf mildernde Umstände plädiert hatte  – immerhin war er nicht ganz zurechnungsfähig gewesen. Doch man hat ihm die mildernden Umstände verwehrt. Stattdessen hat er fünfzehn Jahre bekommen, und eine Woche nach dem Urteilsspruch besuchten ihn seine Eltern, um ihm mitzuteilen, dass seine Frau und sein ungeborener Sohn gestorben seien.
    Seine Eltern. Sie fehlen ihm. Beide sind an Krankheiten gestorben, die man häufig bekommt, wenn man erst mal über siebzig ist. Sie haben ihn stets im Knast besucht. In den ersten zehn Jahren einmal pro Woche. Doch mit zunehmendem Alter haben sie hin und wieder eine Woche
vergessen und schließlich mehrere Wochen hintereinander. Und als sie starben, war er nicht da für sie. So wie er nicht da war, um den Tod seiner Frau zu verhindern. Seine Familie ist gestorben, und alles, was er jetzt noch für sie tun kann, ist, Namen abzuhaken. Die Gräber seiner Frau und seiner Tochter hat er zum ersten Mal am Tag seiner Entlassung besucht. Er musste den Priester in der angrenzenden Kirche nach dem Weg fragen.
    »Es ist immer schwerer für diejenigen, die zurückbleiben«, hatte Vater Jacob gesagt.
    »Wie recht Sie haben«, hatte Caleb geantwortet.
    Der Friedhof ist ein wahres Labyrinth. Die Bereiche mit den Gräbern sind durch Bäume und Hecken voneinander getrennt, einige Grabstellen werden von Bogengängen und Kieswegen begrenzt. Zum Friedhof hin ist die Kirche durch einen hufeisenförmigen Ring aus Bäumen abgeschirmt, nur ihre Spitze ragt über die Wipfel hinaus; im Herbst, wenn das Laub fällt, ist allerdings mehr von ihr zu sehen. Er betrachtet die Grabsteine und fragt sich, wie viele Angehörige hier draußen etwas Ähnliches erlebt haben wie er, und kommt zu dem Schluss: keiner.
    »Tut mir leid«, sagt er zu seiner Frau, und er meint es ehrlich. Und gäbe es eine Möglichkeit, alles rückgängig zu machen, dann würde er sie ergreifen. Eine kalte Brise weht die Regentropfen vom Gras und von den Bäumen in seine Richtung, und ihn fröstelt.
    »Es tut mir wirklich leid«, wiederholt er, und er weiß nicht, was er sonst noch sagen soll. Sie kann ihn nicht hören.
Ja, es war dumm hierherzukommen. Die Toten können nicht reden und nicht zuhören. Doch er hat ihnen etwas mitzuteilen  – eine Botschaft, die er nicht mehr überbringen kann, wenn er erst mal tot ist. Denn nach allem, was er dann getan hat, wenn das hier vorbei ist, wird er sie nicht wiedersehen. Er weiß, dass er an einen anderen Ort als sie kommen wird. Er muss ihnen sagen, wie leid es ihm tut. Und sie sollen wissen, dass er das Geschehene zwar nicht wiedergutmachen machen, aber dass er diejenigen, die es zugelassen haben, dafür bestrafen kann. Ihn selbst eingeschlossen.
    Zugegeben, er möchte, dass sie ihm verzeihen. Aber das werden sie nicht  – er weiß es  –, und es tut weh, wenn irgendwelche Hellseher mit diesen Gefühlen spielen.
    »Ich wünschte, dass …«, sagt er, doch mehr bringt er nicht heraus. Es gibt vieles, was er sich wünscht.
    Er verlässt das Grab, und seine Schuhe saugen sich noch mehr mit Wasser voll. Das Labyrinth zwingt ihn, langsamer zu gehen, und sein Körper ist ganz schwer von Gedanken an die Vergangenheit, während er durch das feuchte Gras zurück zum Parkplatz

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