Haus des Todes
ist, laut aufzuschreien. »Es ist wirklich alles in Ordnung«, sagt er, und natürlich öffnet sie den Mund, doch der Schrei bleibt ihr im Halse stecken, und sie fängt an zu schluchzen. Er tritt zu ihr. Und kniet sich vor sie hin,
sodass er ihr direkt ins Gesicht blicken kann. Die eine Hand auf ihrem Mund und die andere auf ihrem Brustkorb, presst er sie gegen die Wand und drückt dabei ihren Teddy zusammen. Sie hat Mühe, hinter seiner Hand ein Schluchzen hervorzubringen. Ihr Anblick verwirrt ihn. Er darf nichts dabei fühlen, sonst klappt das alles nicht, doch er fühlt etwas.
»Ich werde dir nichts tun, versprochen. Ich bin ein alter Freund deines Vaters. Wo ist deine Mutter?«
Das kleine Mädchen schüttelt den Kopf.
»Du musst jetzt mitmachen, ich will deinen Eltern nur helfen«, sagt er. »Wenn ich meine Hand wegnehme, versprichst du mir, dass du dann nicht schreist und mit mir redest wie eine Erwachsene?«
Sie nickt. Und er nimmt ihr die Hand vom Mund, bereit, ihn jeden Moment wieder zuzuhalten, sollte sie anfangen zu schreien, aber das tut sie nicht. Sie sagt keinen Ton. Sie schüttelt auch nicht den Kopf oder nickt.
»Du heißt Katy, nicht wahr?«
»Mit y «, sagt sie.
»Und wie alt bist du, Katy?«
»Nächste Woche werde ich neun.«
»Wow, dann bist du ja schon ein richtig großes Mädchen.«
»Ja«, sagt sie. »Wer bist du?«
»Ich heiße Caleb«, sagt er. »Ich kenne deinen Dad.«
»Wo ist er?«
»Er wartet unten auf uns. Wo ist deine Mum? Liegt sie im Bett?«
Sie nickt.
»Schläft sie?«
»Weiß nicht. Sie wohnt nicht mehr hier.«
»Was soll das heißen?«
»Mum und Dad haben sich nicht mehr lieb, und Mum ist mit einem anderen Mann zusammengezogen, den sie lieb hat.«
»Aber du hast doch gesagt, dass sie im Bett ist.«
»Es ist doch schon spät«, sagt sie. »Und wenn es spät ist, liegen alle im Bett.«
»Wohnst du immer hier?«, fragt er.
Sie nickt.
»Du wohnst also nicht bei deiner Mum?«
Sie schüttelt den Kopf.
»Okay, okay, gut. Hör mir zu. Ich werde jetzt mit deinem Dad eine kleine Reise machen«, sagt er, »und es wäre nicht sehr verantwortungsvoll von uns, wenn wir dich mit deiner Schwester hier allein lassen würden, darum werden wir euch beide mitnehmen. Wie wär’s also, wenn du mir zeigst, wo das Zimmer deiner Schwester ist, hm? Braven Mädchen passiert nichts, wenn sie schön artig sind.« Seine Bemerkung könnte nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein. »Du möchtest doch nicht, dass dir was passiert, oder?«
Sie schüttelt langsam den Kopf.
»Okay, Katy mit y , warum bringst du mich dann nicht zu deiner Schwester?«
»Zu welcher?«
»Zu welcher, was soll das heißen?«
»Zu welcher Schwester?«
»Zu Melanie natürlich«, sagt er, doch ihre Frage beunruhigt ihn. »Katy, wie viele Schwestern hast du denn?«
»Wenn du mit meinem Dad befreundet bist, musst du das doch eigentlich wissen, oder?«
»Ich war lange weg, Katy, aber warum sagst du’s mir nicht einfach?«
»Zwei.«
Zwei. Mein Gott, wo irrte er sich überall? Keine Frau, drei Töchter anstatt zwei, und was noch?
»Katy, sind noch weitere Erwachsene im Haus?«
»Nein.«
»Und Brüder?«
Sie schüttelt den Kopf. »Du bist ein böser Mensch«, sagt sie.
»Ich bin nicht böse«, erklärt er.
»Wirst du uns wehtun?«
»Nein«, sagt er. »Ich mach dir einen Vorschlag. Wenn du dafür sorgst, dass jeder meine Anweisungen befolgt, passiert keinem etwas. Du kannst meine persönliche Helferin sein.«
»Ich will keine persönliche Helferin sein«, sagt sie.
»Melanie ist die Älteste, oder?«, fragt er.
»Ja.«
»Und deine andere Schwester? Ist sie jünger oder älter als du?«
»Sie ist erst eins«, sagt sie.
Er hat es also mit einer Elf-, einer Acht- und einer Einjährigen zu tun. Er überlegt, ob das an seinem Plan was
ändert. Tut es nicht. Er muss ihn vielleicht etwas anpassen; dafür hat er gegenüber dem Arzt ein noch größeres Druckmittel in der Hand, und das Ergebnis bleibt dasselbe.
»Wie heißt sie?«
»Octavia. Aber was ist mit Dad? Wirst du ihm wehtun?«
»Dein Dad hat etwas Böses getan«, erklärt er.
»Mein Dad hilft anderen Menschen.«
»Manchmal hilft er den falschen Menschen.«
»Was hat er getan?«
»Das ist eine Sache unter Erwachsenen, Katy. Du würdest es nicht verstehen.«
»Ich bin schon erwachsen«, sagt sie. »Hast du das vergessen? Ich rede mit dir wie eine Erwachsene.«
Trotz des ganzen Schlamassels, trotz des Mannes, der am Boden liegt, trotz all
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