Haus des Todes
hinein und löst die Handbremse. Der Wagen lässt sich problemlos die Auffahrt hinunterschieben; als es flacher wird, geht es nicht mehr ganz so leicht. Caleb steht neben der Fahrertür, dreht am Lenkrad und drückt so kräftig er kann. Obwohl seine Knie und Hüften und eine seiner Schultern schrecklich schmerzen – er muss es schaffen. Erneut setzt sich das Auto in Bewegung. Langsam, aber stetig rollt es weiter, Caleb schiebt es am ersten Haus vorbei, dann am zweiten, es nimmt an Fahrt auf, und wenige Minuten später steht es ein halbes Dutzend Häuser von der Wohnung des Arztes entfernt. Caleb hat weder die Kraft noch die Zeit, es weiterzuschieben. In einigen der Häuser brennt inzwischen Licht, doch auf der Straße ist niemand zu sehen. Er wischt sämtliche Oberflächen, die er berührt hat, gründlich ab. Selbst den Rücksitz, auch wenn er dort gar nicht gesessen hat. Er möchte zwar, dass die Polizei ihn findet, aber noch nicht jetzt, und sein kaputter Wagen macht alles nur noch komplizierter.
Caleb läuft in die Garage zurück. Drückt auf den Toröffner und fährt, die mutterlose Kleinfamilie hinten in den Wagen gezwängt, nach draußen. Mein Gott, es ist schon nach fünf, und allmählich wird ihm klar, dass er für all das hier zwei Nächte brauchen wird und nicht nur eine. Er massiert seine Knie und dabei schmerzen ihm die Hände. Die Straße wirkt jetzt unschärfer als vorhin. Die Welt verliert ihre Konturen, die beiden Fahrbahnen scheinen zu einer zu verschmelzen, und es wird auch nicht besser, als er sich die Augen reibt. Er fährt jetzt zum Haus des Richters. Er wird erst ihn töten, danach Mrs Whitby und anschließend im Schlachthof die Sache zu Ende bringen.
Er fährt rechts ran. Gähnt. Und schließt für ein paar Sekunden die Augen, lehnt sich mit der Stirn gegen das Lenkrad. Es war von vornherein fast unmöglich, alles in einer Nacht zu erledigen. Es war sogar unmöglich. Vor zehn Jahren hätte er noch die Kraft dafür gehabt. Es ist frustrierend. Auch wenn ihm von Anfang an klar war, dass es so kommen konnte. Das ändert jedoch nichts am Ergebnis, er wird weiter in der festgelegten Reihenfolge töten. So kann die Polizei keine Verbindung herstellen. Er hat stundenlang die Namen seiner Opfer gegoogelt, hat seine Hausaufgaben gemacht, und es gibt keinen Artikel, in dem alle drei Opfer gleichzeitig erwähnt werden. Immerhin ist die Sache siebzehn Jahre her – im Gegensatz zu heute konnte man damals die Nachrichten noch nicht im Internet abrufen. Ihm ist klar, dass die Cops mehr als nur eine Suchmaschine benutzen, und sie haben
bestimmt das Vorstrafenregister und Gerichtsprotokolle zur Verfügung, aber all das ist nutzlos, wenn sie nicht wissen, wo sie mit der Suche anfangen sollen. James Whitbys Mutter – sobald Caleb sie zerstückelt hat, werden sie wissen, was los ist.
Mensch, vielleicht ist es so, wie es jetzt ist, sogar besser. Dann kann er sich morgen überlegen, was er mit Ariel Chancellor anstellen soll. Er sieht sie immer noch vor sich, wie sie an der Straßenecke steht, in dem kurzen Kleid, und der Wagen neben ihr hält …
Er macht kehrt, entfernt sich wieder vom Haus des Richters, fährt nach Norden. Er schaltet das Radio ein und hört die Nachrichten. Inzwischen wurde die vierte Leiche gefunden, ihren Namen haben sie noch nicht rausgegeben. Das ist gut so. Je länger sie diese Information für sich behalten, desto unwahrscheinlicher ist es, dass jemand, der vor siebzehn Jahren dabei war, einen Zusammenhang herstellt. Zweimal ertappt er sich dabei, wie er kurz einnickt; beim ersten Mal ist er nicht mal eine Sekunde lang weg und steuert bereits auf einen Laternenpfahl zu, beim zweiten Mal dauert es schon etwas länger, sodass er fast gegen einen Baum kracht. Dann steigt vom Baby plötzlich ein fieser Gestank auf, der sich nicht verziehen will, selbst als er das Fenster runterlässt. Das hält ihn wach.
Nach zwanzig Minuten erreichen sie den Schlachthof. Es ist fünfzehn Jahre her, dass er das letzte Mal hier war. Das Gebäude ist in tiefe Dunkelheit gehüllt, außer dort, wo die Scheinwerfer des Wagens über seine Vorderseite
streifen. Caleb parkt vor der Tür, hinter der sich früher mal die Verwaltung befand. Er muss vorsichtig auftreten, denn sein Knöchel schmerzt. Zunächst nimmt er die Tüte und trägt sie in den hinteren Bereich des Gebäudes, wo seine Schritte durch die Räume hallen. Es ist hier kälter als draußen. Die Decken legt er in die Ecke eines der
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