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Haus des Todes

Haus des Todes

Titel: Haus des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Cleave
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begleichen, Doktor.«
    »Das habe ich nicht!«, brüllt Stanton, und von seinen geschwollenen Lippen spritzt Speichel.
    »Du sagst, dass es dir leidtut, aber das tust du nur, weil du an dem Ort bist, wo meine Tochter gestorben ist, und weil du verzweifelt bist. Hat es dir vor fünfzehn Jahren leidgetan? Hat es dir leidgetan, dass du uns unsere Leben genommen hast? Nein, hat es nicht, denn wenn es dir leidgetan hätte, wärst du zu mir gekommen und hättest mir gesagt, dass es dir leidtut.«
    »Ist es das, was du willst? Willst du genauso wie Whitby sein? Würden deine Frau und deine Kinder das wollen?«
    »Sie würden wollen, dass sie wieder am Leben sind.«
    »Du trittst ihre Ehre mit Füßen.«
    »Nein, ich bewahre sie ihnen. Hier leben sie weiter«, sagt er und tippt sich gegen den Kopf. »Und hier.« Er fasst sich ans Herz. »Ich bin der Einzige, der das tut. Alle anderen haben einfach weitergemacht. So wie du. Du bist immer noch Arzt, kümmerst dich immer noch um deine Patienten. Hättest du tatsächlich Schuldgefühle gehabt, dann hättest du dein Leben geändert. Dann hättest du vor fünfzehn Jahren deinen Job an den Nagel gehängt, als dir klar wurde, was du getan hast. Doch du hast nichts empfunden,
im Gegensatz zu jetzt. Jetzt empfindest du Reue, weil ich dich bestrafen werde. Jetzt, Stanton, ist der Moment in deinem Leben gekommen, in dem dich deine bösen Taten einholen. In dem du dich deiner Verantwortung stellen musst.«
    »Du irrst dich. Ich denke ständig an das, was deiner Familie passiert ist. Ich greife darauf zurück, um anderen Menschen zu helfen. Bitte  –«
    »Melanie, geh rüber und setz dich zu deinen Schwestern«, sagt Caleb.
    »Nein. Ich lasse meinen Dad nicht allein.«
    »Ist in Ordnung, Mäuschen«, sagt Stanton, und der Kosename für seine Tochter lässt Calebs Herz einen Hüpfer machen. Manchmal hat er seine Tochter auch so genannt. Mäuschen. Schätzchen. Prinzessin. Manchmal auch Prinzessin Mäuschen oder Prinzessin Schätzchen.
    Melanie fängt an zu weinen.
    »Tu, was er sagt«, bittet Stanton sie. »Alle drei, geht rüber in die andere Ecke des Raums.«
    Sie tun, was er verlangt, Katy und Melanie tragen Octavia zwischen sich. Caleb tritt dicht vor den Doktor, geht in die Hocke und sagt mit gedämpfter Stimme: »Bei dir wird es anders sein, das versprech ich dir.«
    »Bitte, lass meine Kinder in Ruhe«, sagt Stanton im selben Flüsterton wie Caleb. »Sie haben dir nichts getan. Ich werde alles machen, was du willst, alles, aber lass sie in Ruhe.«
    »Was für Kosenamen haben sie?«
    »Was? Warum?«

    Warum? Er weiß es nicht. Er muss es nicht wissen, zumindest spielt es keine Rolle. Aber momentan ist es ihm wichtig. »Sag’s mir.«
    »Mäuschen und Kätzchen«, sagt er. »Mel, das Mäuschen, und Katy, das Kätzchen.«
    »Und Octavia?«
    »Hä?«
    »Octavia.«
    Stanton schüttelt den Kopf. »Sie hat keinen.«
    »Warum nicht?«
    »Tu ihnen nichts«, sagt Stanton.
    Caleb schüttelt den Kopf. Scheiß drauf. Er muss weitermachen. Was kümmert es ihn, wer wie heißt? »Dafür ist es jetzt zu spät.«
    »Nein, ist es nicht. Warum sollte es dafür zu spät sein? Du hast ihnen noch nichts getan, und das musst du auch nicht. Mit mir kannst du machen, was du willst, aber ihnen musst du nicht wehtun. Bitte, ich flehe dich an.«
    »Du flehst mich an. Meine Tochter hat um ihr Leben gefleht«, sagt er. Das hat sie bestimmt. Sie hat bestimmt gefleht und geweint und nach ihm und seiner Frau gerufen. »Wir haben sie immer Mäuschen genannt.« Stanton zuckt zusammen, und Caleb weiß auch, warum  – plötzlich bekommt das alles hier eine persönliche Dimension für ihn. Plötzlich stellt sich Stanton vor, wie es wäre, seine eigene Tochter zu verlieren. Tja, bald muss er sich das nicht mehr vorstellen. »Ich lasse dich entscheiden, welches deiner Kinder als Erstes sterben soll«, sagt Caleb. »Ich hatte nie diese Wahl.« Das Sonnenlicht fällt in den
ehemaligen Büroraum, und in einem der Strahlen glitzert Staub. Caleb weiß, dass die Mädchen ihn nicht hören können, andernfalls würden sie sich statt zu weinen die Augen aus dem Kopf heulen und laut schreien. »Du wirst bei ihnen sein, wenn sie sterben«, fährt Caleb fort. »Meine Tochter war hier draußen ganz allein mit dem Mann, der sie getötet hat.« Seit damals laufen die Ereignisse jeden Tag unzählige Male vor seinem geistigen Auge ab, wie in einer Endlosschleife. Er kriegt die Bilder nicht mehr aus dem Kopf, sie bestimmen sein Leben.

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