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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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sonst haßte. Wenn sie eingeschlafen war, konnte er in Ruhe ihr Zimmer betrachten, wozu er sonst vor lauter Angst und Ekel keine Zeit fand Ȭ die große dunkle Vitrine Ȭ kostbar und alt, vollge Ȭ packt mit Gläsern jeder Größe, jeder Dicke: Kristallschalen und winzige, dünne Schnapsgläschen, gläserne Figuren: das milchig gemusterte blauäugige Glasreh, Bierhumpen Ȭ , und später, immer noch die Hand auf Großmutters Gesicht, sah er zu dem Foto seines Vaters hin; es war größer als das, das die Mutter über dem Bett hängen hatte, und auf diesem hier war der Vater noch jünger; sehr jung und lachend, er hatte die Pfeife im Mund, und das sehr dunkle Haar stand hart und dicht vor einem hellen Himmel: weiße Wölkchen auf dem Himmel, gerollte Watteklümpchen, und das Bild war so scharf, daß er das erhabene Muster auf den Metallköpfen von Vaters Strickweste erkennen konnte: Es waren Blumen, und die schmalen, dunklen Augen des Vaters blickten ihn an, als stände er wirklich dort, wo im dämmerigen Winkel zwischen Vitrine und Teewagen das Bild hing, und niemals, niemals wußte er, ob der Vater auf diesem Bild traurig oder froh war. Sehr jung sah der Vater aus, fast wie die Jungen, die in der obersten Schulklasse waren. Wie ein Vater sah er jedenfalls nicht aus. Väter sahen älter aus, mächtiger und ernster. Väter sahen nach Frühstücksei aus, nach Zeitung
    Onkel Albert den Onkeln anderer Jungen glich, so wenig glich der Vater den Vätern anderer Jungen. Daß der Vater so jung war, machte ihn stolz, war ihm aber auch peinlich, er sah fast so aus, als wäre er kein richtiger Vater Ȭ so wie die Mutter ihm nicht wie eine richtige Mutter erschien: Sie roch nicht wie die Mütter anderer Jungen, war leichter und jünger und sprach nie von dem, was anderer Leute Leben, was anderer Jungen Mütter entscheidend zu formen schienen, niemals sprach die Mutter von Geld. Der Vater sah nicht glücklich aus Ȭ das entschied er immer zum Schluß hin, aber er sah auch nicht nach dem Wort aus, was bei anderen Vätern meist vorherrscht: Der Vater sah nicht nach Sorgen aus. Alle Väter hatten es: Sorgen, alle Väter waren älter, sie sahen auf eine andere Weise nicht glücklicher aus als der Vater... Auf Glums Landkarte oben, die die ganze Wand bedeckte, gab es drei dicke schwarze Punkte; der erste war der Ort, wo Glum geboren war, der zweite war der Ort, wo sie wohnten, und der dritte der, wo der Vater gefallen war: Kalinowka. Er vergaß die Großmutter, obwohl seine Hand noch auf ihrem schlafenden Gesicht lag, er vergaß die Mutter und die albernen Gäste, Glum und Bolda vergaß er, sogar Onkel Albert, und er betrachtete in Ruhe das Bild des Vaters in der dämmerigen Ecke zwischen Vitrine und Teewagen.
    Er saß noch da, als die Mutter ihn holte, Albert längst gekommen war. Er ging
    mit, ohne ein Wort zu sagen, zog sich aus, legte sich in Alberts Bett, sprach das Nachtgebet: Wenn Du der Sünden willst gedenken, Herr, und als Albert ihn fragte, ob er müde sei, sagte er ja, weil er gern allein sein wollte. Wenn das Licht ausgeknipst war, störte ihn nicht einmal mehr das alberne Lachen von nebenan Ȭ er schloß die Augen, sah das Bild des Vaters vor sich und hoffte, er werde in den Traum kommen, so wie er dort war, jung und ohne Sorgen, vielleicht lachend, so jung wie er auf dem Bild war, viel jünger noch als Onkel Albert. Mit diesem Vater ging er spazieren, in den Zoo Ȭ er fuhr lange Strecken mit ihm über die Autobahn, zündete ihm die Zigaretten, die Pfeife an, half ihm das Auto waschen und nachgucken, wenn etwas kaputt war, ritt neben dem Vater weite Strecken in endlose Ebenen hinein Ȭ und er genoß es, zu sagen, leise vor sich hinzumurmeln: Wir reiten gegen den Horizont Ȭ
    »Horizont« wiederholte er langsam und feierlich, und er hoffte und betete, der Vater möge so in die Träume kommen, reitend, autofahrend Ȭ
    Das Bild verließ ihn nicht, solange er wach lag, und alle die Gegenstände sah
    er, die seinem Vater gehört hatten, die Armbanduhr und die Strickweste und das Notizbuch, in dem angefangene Gedichte standen. Verzweifelt aber und vergeblich kämpfte er um den Traum vom Vater. Nie kam er. Das Zimmer war dunkel, und er lag dort allein, und wenn Onkel Albert herüberkam, um nach ihm zu sehen, stellte er sich schlafend, um allein und ungestört zu bleiben, und hielt, solange Albert im Zimmer war, hinter geschlossenen Augen das Bild fest: einen lachenden Jüngling mit der Pfeife im Mund, der nicht wie ein Vater

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