Haus Ohne Hüter
nicht gut von der Oma dachte.
Wie eine Königin schritt sie in ihr Zimmer zurück. Die Mutter kam aus der
Küche gestürzt, küßte ihn, und er sah an ihren Augen, daß sie im Laufe des Abends irgendwann weinen würde. Er hatte die Mutter gern, und ihr Haar roch so gut, und er mochte sie, obwohl sie albern werden konnte wie die Leute, die sie immer mitbrachte.
»Dumm, daß auch Albert wegmußte, er wollte mit dir essen.« »Bolda hat mich versorgt.«
Kopfschütteln und Lachen, wie es üblich war, wenn er Boldas Küche genossen hatte, und eine zweite Frau, blond wie die Mutter, Boldas schmutzige braune Schürze vorgebunden, diese fremde Frau, die hartgekochte Eier auf dem Küchentisch in Scheiben schnitt, lächelte ihn blöde an, und die Mutter sagte, was sie bei dieser Gelegenheit zu sagen pflegte,
Und die Frau sagte das Wort, das sie sagen mußte, die Frau sagte: »Süß!«
»Süß«, riefen jetzt auch andere alberne Weiber, die aus Mutters Zimmer kamen, »Süß«, und zwei Männer fanden es nicht zu blöde, auch »Süß« zu rufen. Er fand alle Leute, die abends die Mutter besuchten, albern Ȭ und diese albernen Kerle hatten die männliche Variante zu »Süß« entdeckt, sie riefen:
»Entzückend« Ȭ , und er mußte, mußte mit ihnen gehen, Schokolade in
Empfang nehmen, aufdrehbare Autos, und als er sich endlich wieder wegschleichen durfte, mußte er anhören, was sie sich zuflüsterten: »Ein phantastisches Kind.«
Oh, grüne Dunkelheit oben in Boldas Zimmer, auf Boldas Nonenwartezimmercouch oder Glums Zimmer mit der großen Karte an der Wand.
Er ging in die Küche zurück, wo das blöde Weib jetzt Tomaten in Scheiben schnitt, und er hörte sie sagen: »Ich mag improvisierte Mahlzeiten so gern.« Die Mutter entkorkte Flaschen, Teewasser brodelte, rosige Schinkenscheiben lagen auf dem Tisch, ein gekochtes Huhn lag da: weißliches Fleisch, leicht grünlich schimmernd, und die fremde blonde Frau sagte: »Salat aus Hühnerfleisch, einfach phantastisch, liebe Nella.« v Er erschrak: Leute, die zur Mutter »liebe Nella« sagten, kamen öfter als die, die nur »Frau Bach« sagten.
»Kann ich jetzt in Onkel Alberts Zimmer gehen?« »Ja«, sagte die Mutter, »geh
nur, ich bringe dir was zu essen.« »Ich möchte nichts mehr essen.« »Wirklich nichts?«
»Nein«, sagte er, und plötzlich tat ihm die Mutter leid, die nicht sehr glücklich aussah, und er fügte leise hinzu: »Danke, wirklich nicht.«
»Oh«, sagte die fremde Frau, die jetzt die Knochen des Huhns mit einem
Messer abschabte, »ich hörte schon, daß Albert Muchow bei Ihnen lebt, liebe Nella, ich bin ja so neugierig, den ganzen Kreis kennenzulernen, der Ihren Gatten gekannt hat. Es ist himmlisch, ins Zentrum des geistigen Lebens einzudringen.« In Alberts Zimmer war es schön, es roch nach Tabak und nach frischer Wäsche, die Albert in Stapeln immer im Schrank liegen hatte. Schneeweiße, grün gestreifte, rostbraun gestreifte frischgewaschene Hemden, die wunderbar rochen. Sie rochen so gut wie das Mädchen aus der Wäscherei, das sie brachte, sie war so
hellhaarig, daß ihr Haar fast die Farbe ihrer Haut hatte. In vollem Licht sah sie schön aus, und er mochte sie, weil sie immer freundlich, nie albern war. Und meistens brachte sie ihm Reklameluftballons mit, die er aufblasen und mit denen er Ȭ zusammen mit Brielach Ȭ stundenlang im Zimmer Faustball spielen konnte, ohne fürchten zu müssen, daß etwas kaputtging: riesige und stramme, sehr zarte Blasen, auf die mit flüssiger Kreide geschrieben war:
»Buffo wäscht dir alles.« Auf Alberts Tisch lagen immer Stapel von
Zeichenpapier herum, und der Malkasten stand in der Ecke neben Alberts Tabakdose.
Aber drüben in Mutters Zimmer wurde gelacht, und er ärgerte sich und wünschte, er hätte auch ein Uringlas schwenken und durchs ganze Haus schreien können: »Ich habe Blut im Urin.« — Schon wieder war ein Abend verdorben, denn auch Albert würde hinübergehen müssen. Sonst, wenn Mutter zu Hause war und kein Besuch kam, saßen sie abends immer in Mutters Zimmer, und manchmal kam Glum dazu für eine halbe Stunde, er Ȭ zählte was, oder Albert setzte sich ans Klavier und spielte, und die Mutter las, und noch schöner war es, wenn Albert ihn abends spät noch mit dem Auto rundfuhr oder mit ihm Eis essen ging. Er liebte das grelle bunte Licht der Eisdiele, das von dem großen Hahn in den Raum strahlte, er mochte die scharfe Schallplattenmusik und das kalte Eis, die wilde, grellgrüne
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