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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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Apfel, Apfel, Klicker, Klicker, Apfel, Kürbis; es schien, als büke er hinten am Gaumen die Worte zurecht, ehe er sie freigab, schmecke sie dann noch ab, forme emsig noch einmal mit der Zunge daran herum, ehe er sie herauswälzte, Silbe für Silbe, behutsam und liebevoll. Fünfzehntausend Kilometer entfernt war Glum geboren, er hieß eigentlich anders, Glumbich Cholokusteban, und es war schon ein besonderer Genuß, ihn seinen Namen sagen und erklären zu hören; sein Name bedeutete: Sonne, die unsere Beeren reifen läßt.
    Wenn sie Lust hatten, er und Heinrich Brielach, gingen sie zu Glum hinauf
    und ließen ihn nur seinen Namen hersagen und erklären, das war schön wie das Kino.
    Leider konnte er nur selten in Glums Zimmer hinaufgehen, denn Glum ging
    Marmeladenfabrik, aus der er erst abends zurückkam. Vor dem
    Schlafengehen machte ihm Bolda immer sein Frühstück zurecht, Kaffee, Gurken, Brot und Blutwurst. Glums Blutwurst hatte nichts Kindermörderisches, sie war zwar rot, schmeckte aber mehlig und sanft, und nach Boldas Behauptung bestand sie tatsächlich nur aus Mehl, Margarine und einer Spur Ochsenblut. Jeden Sonntag schlief Glum bis zwölf. Essen, Suppe und Kürbis, und wenn in einem der Kännchen noch Kaffee vom Frühstück übriggeblieben war, wärmte er ihn sich und nahm ihn mit in sein Zimmer hinauf, dort studierte er bis vier in seinen seltsamen dicken Büchern, und jeden Monat einmal kam der kleine, alte Priester, der bei den Nonnen wohnte; er kam und blieb den ganzen Sonntagnachmittag oben bei Glum, und sie sprachen über das, was Glum in den Büchern gelesen hatte. Und meistens tranken sie später unten bei der Mutter Kaffee, der Priester und Glum, Onkel Albert und Martin, und sie stritten sich oft, die Mutter mit dem Priester oder Onkel Albert mit dem Priester, und Glum gab dem Priester immer recht und sagte zum Schluß, es geduldig aus sich herausrollend: »Komm, kleiner Priester, wir gehen einen Schnaps trinken Ȭ die sind ja alle so dumm.« Dann lachten sie alle, und Glum ging tatsächlich mit dem kleinen Priester Schnaps trinken.
    Sonntags von vier bis halb sieben malte Glum an seiner Landkarte, und
    während dieser Zeit konnte er manchmal zu ihm hinaufgehen. In fünf Jahren hatte Glum noch nicht ein Viertel der Welt fertig gemalt; sorgfältig, Nuance um Nuance aus Onkel Alberts Atlas übertragend, pinselte er daran herum, und solange er am nördlichen Eismeer herumpinselte, hatte er auf einem Hocker stehen müssen, aber der Hocker stand jetzt im Keller und würde erst wieder heraufgeholt werden, wenn Glum so weit nach links gekommen war, daß Spitzbergen, Grönland und der Nordpol gemalt werden mußten. Tubenweise verbrauchte er Grün, Braun, Blau und viel Weiß, um das Braun, das Grün, das Blau heller zu machen Ȭ so eisig wie das Eismeer, so grün wie ganz frischer Salat und so hellbraun wie der Sand am Strand des Rheins. Onkel Albert, der etwas vom Malen verstand, behauptete, Glum sei ein großartiger Maler. Tatsächlich konnte Glum auch Tiere, Menschen, Häuser und Bäume direkt mit dem Pinsel aufs Papier malen, und wenn er gut gelaunt
    bes Pferd und auf dem Pferd einen ganz dicken, schwarzen Mann.
    »Die Kühe meines Vaters waren rot, ganz rot, ja, lach du nur, sie waren so rot wie die dunklen, ganz reifen Tomaten, und mein Vater hatte ein ganz gelbes Pferd, einen schwarzen Bart, schwarze Haare, aber blaue Augen, ganz blau Ȭ wie das Eismeer da oben. Ich mußte die Kühe hüten in den Lichtungen der Wälder, wo nur spärliches Gras wuchs, und manchmal mußte ich sie durch den Wald bis an den Fluß treiben, wo ein Streifen grünen, üppigen Grases wuchs. Der Fluß hieß Schechtischechna Ȭ schech Ȭ ticho, das heißt: der das Wasser, die Fische, das Eis und das Gold bringt.«
    Wilde Laute aus Glums Mund stellten den Fluß dar, breit, reißend, wild und
    kalt. Der Fluß kam aus dem großen Gebirge, hinter dem Indien liegt.
    Und Glum zeigte wieder auf den schwarzen Punkt in dem vielen Grün, wo er geboren war.
    »Mein Vater war Häuptling, später nannte er sich Kommissar, aber er war Häuptling, auch als er sich Kommissar nannte Ȭ und jedes Jahr im Frühling, wenn Schechtischechna Ȭ schechticho eisfrei wurde, wenn die Beerensträucher in den Wäldern anfingen zu blühen, wenn das Gras grün wurde, dann tat er, auch als er Kommissar war, das, was alle Häuptlinge seit vielen Jahren getan hatten, er warf das Los über die Jungen im Dorf, und einer von den Jungen mußte in den Fluß

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