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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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unauflösliches verkrampftes Entsetzen, und die Großmutter schleppte ihn durchs Spalier der Fresser zurück; hier erst geschah es, mitten im Restaurant, als er am Tisch eines Mörders vorbeiging, der mit einem harten Ruck des Messers Ȭ Genugtuung im Blick Ȭ rosiges, blutiges Kinderfleisch zerschnitt, er spürte, wie das Entsetzen
    sich löste und hochkam. Er fühlte weder Scham noch Reue, nur kalten
    Triumph, und nun, wo das Entsetzen seinen Magen verlassen hatte, konnte er sogar lächeln.
    Der Kinderfresser wurde rot, dann stieg es gelb von seinem Hals her herauf,
    Geschrei ringsum, Geklirr und das windige Huschen der Kellner, während die Großmutter lachend Heilung des Schadens durchs Scheckbuch versprach. Sein Anzug war sauber geblieben, sein Gesicht trug keinen Flecken, er brauchte sich nur mit dem Taschentuch ein wenig den Mund abzuwischen, heil, leer und frei und als Sieger ging er aus diesem Kampf hervor. Er hatte seine Hände nicht beschmutzt, seine Seele nicht befleckt und das gewaltsam in ihn hineingezwungene Essen wieder von sich gegeben. Selbst die Großmutter hatte jetzt keinen Appetit mehr, sie ließ Sahnekuchen, Eis und Kaffee stehen, riß einen Scheck aus ihrem Heft, noch einen für des Kindermörders Anzug, noch einen, um den Kellner zu beruhigen, und jetzt, wo sein Magen leer war, ging er ohne Angst und ohne Scham an der Hand der Großmutter über den langen, rostbraunen Läufer hinaus.
    Und es kam die Heimkehr im Taxi, wo die Großmutter brummend
    Kommentare zu den »verkorksten« Mägen der heutigen Jugend gab. »Kein Mensch kann mehr vernünftig was essen, kein Mensch kann mehr vernünftig was trinken, kein Mensch kann mehr ȇ ne vernünftig starke Zigarette rauchen, schwaches, zum Tode verurteiltes Geschlecht.«
    Diese Ausflüge fanden nur etwa alle halben Jahre statt. Er spürte, wann
    wieder einer fällig war, wie er Blut im Urin spürte Ȭ und möglichst drückte er sich daran vorbei, indem er schon vor dem Mittagessen verschwand oder Onkel Albert anflehte, mit ihm wegzufahren Ȭ aber die Flucht war nur ein Hinausschieben, denn die Großmutter erwischte ihn. Diese Ausflüge gehörten mit zu der Schulung, die sie für notwendig hielt. Als er fünf Jahre alt war, hatte sie eines Tages zu ihm gesagt: »So, jetzt will ich dir einmal zeigen, wie man richtig ißt«, und sie hatte ihn zum erstenmal mit in Vohwinkels Weinstube genommen. Damals hatte er die Vorstellung gehabt, daß vom Büffet her geschlachtete Kinder ins Lokal getragen, dampfende Schüsseln mit rosigem Fleisch von ungeduldigen Mördern erwartet wurden, und er achtete von seinem fünften Lebensjahr an scharf darauf, wie die Erwachsenen aßen,
    kensprung kam er zu dem Ergebnis, daß es unmoralisch sein müsse, was
    dort geschah. Unermüdlich aber schleppte ihn die Großmutter mit, und längst schon kannte ihn der Geschäftsführer, kannten ihn Büffetmädchen und Kellner, und er hatte ganz genau gehört, was sie flüsterten: »Die Großfürstin mit dem Kotzer.« Aber die Großmutter ließ nicht nach, es lag ihr daran, ihn an gewaltiges Essen zu gewöhnen. Gänseknochen mußten vor seinen Augen geknackt und ausgesogen, Fleisch mußte gegessen, blutige Steaks mußten vor seinen Augen zerschnitten werden, und er haßte sie alle. Viel von dem geheimnisvollen Etwas, das Geld hieß, wurde bezahlt. Scheine und Münzen Ȭ konnte etwas anderes als Kinder so teuer sein?
    Wenn er mit der Großmutter hatte ausgehen müssen, aß er monatelang
    nachher kein Fleisch, nur Brot und Eier, Käse und Milch, Obst oder von den herrlichen Suppen, die Glum sich unten in der Küche zurechtkochte. Glum kochte seine Suppe immer für eine Woche im voraus. Ein Brei, in dem alles, was er hineintat, so lange kochen mußte, bis es zerfasert war: Gemüse und Knochen, Fische und Äpfel, geheimnisvoll zubereitete, aber wohlschmeckende Suppen, die Glum fünfliterweise herstellte, weil er Ruhe haben wollte. Glum lebte von Brot, Eiern und Gurken, in die er biß wie in Äpfel, er schleppte große Kürbisse heran, stand dann pfeiferauchend am Herd und brütete stundenlang über seinem Suppentopf, schmeckte daran, tat noch etwas hinein, eine Zwiebel oder Maggi, getrocknete Kräuter, die er zwischen den Fingern zerbröselte. Glum schnupfte, schmeckte, grinste, bis er den großen Eisentopf vom Feuer nahm und in den Eisschrank setzte. Für eine Woche Ruhe. Wenn er zur Arbeit ging, löffelte er seinen Henkelmann voll, schraubte ihn zu, steckte eine halbe Gurke lose in die

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