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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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frischen Grüns.
    »Schweinerei«, sagte Bolda, die manchmal herüberkam, wenn er bei Glum saß, und Glum schüttelte über ihre Erzählungen so andauernd, so geduldig den Kopf, daß Bolda jedesmal in Wut geriet und schrie: »Was verstehst du schon von Kultur, du oller, oller« Ȭ und sie suchte nach einem Wort Ȭ und brachte nichts anderes heraus als »oller Türke«, woraufhin Glum lachte, als sausten hundert Messer durch die Luft. Aber warum kam sie dann in Glums Zimmer, wenn sie sich so über ihn ärgerte? Oft kam sie auch, sprach über das Frühstück, obwohl darüber nichts zu sprechen war, denn alle bekamen immer das gleiche Frühstück, freilich jeder sein eigenes und anderes, aber für jeden täglich das gleiche. Mutter bekam richtigen Kaffee von derselben Stärke wie Albert, für Glum und ihn wurde Kaffee Ȭ Ersatz gekocht, und Bolda selbst trank heiße Milch, in die sie Honig träufelte. Jeder bekam ein Kännchen für sich mit Kaffeemütze, bekam Brot zurechtgeschnitten, Butter, Wurst oder Marmelade hingestellt auf einen Teller, und das gehörte zu Boldas Pflichten. Jeder aber, wann auch immer er aufstand, mußte sich sein Frühstück aus der Küche holen.
    Bolda war verkorkst, aber gut, Mutter war verkorkst Ȭ und er wußte nicht
    sicher, ob sie nicht doch unmoralisch war Ȭ dunkles
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    Geflüster in der Diele: » Wo treibst du dich immer herum ?« Glum war nicht verkorkst, aber merkwürdig und gut, und Albert war beides nicht, nicht merkwürdig, nicht verkorkst und doch gut. Albert war so, wie anderer Jungen Väter waren. Auch auf die Großmutter paßte das Wort »verkorkst« nicht, nicht einmal das Wort »merkwürdig«, und Ȭ daß wußte er Ȭ eigentlich war die Großmutter gut, sie war zum Beispiel nicht überhaupt gut, sondern nur eigentlich Ȭ und er begriff nicht, daß Worte wie überhaupt, eigentlich und sonst in der Schule so verpönt waren; mit diesen Worten ließ sich ausdrücken, was sonst nicht auszudrücken war. Bolda zum Beispiel war überhaupt gut, während die Mutter gut war, aber wahrscheinlich eigentlich unmoralisch. Dieser Punkt mußte noch geklärt werden, und er ahnte, daß die Klärung Ungünstiges erbringen würde.
    Bolda und die Großmutter hatten sich schon als Kinder gekannt, und die eine
    hielt die andere für verrückt, nur wenn gerührte Stimmung herrschte Ȭ an Weihnachten und so Ȭ , umarmten sie sich und sagten: »Wir haben doch zusammen die Kühe gehütet, weißt du noch, daß Ȭ weißt du noch, wie Ȭ und weißt du noch, weshalb.« Und sie sprachen vom rauhen Wind in den Eifelbergen, von den Hütten aus Ästen, Steinen und Stroh, von Feldherden, auf denen sie Kaffee gekocht hatten und Suppe, und sie sangen dann Lieder, die keiner verstand, und auch Glum sang Lieder, die keiner verstand, Messerlieder. Trafen sich aber die Großmutter und Bolda außerhalb der Tage, an denen gerührte Stimmung herrschte, bekamen sie meistens Streit, und die Großmutter tippte mit dem Finger gegen die Stirn und sagte: »Du warst ja immer verrückt.« Dann tippte auch Bolda mit dem Zeigefinger auf die Stirn und sagte: »Du warst ja immer irre, und außerdem...« Ȭ »Was außerdem?« schrie die Großmutter, aber darauf antwortete Bolda nie. Anlaß ihres Streites war meistens Boldas privater Küchenzettel: Steckrüben, süßlich zusammen Ȭ gekochter Brei mit zerstampften Kartoffeln durchmischt, mit Magermilch und zerlassener Margarine übergössen Ȭ und Magermilchsuppen, die sie Ȭ nach Behauptung der Großmutter Ȭ »extra anbrennen ließ«. »Oh, sie läßt sie extra anbrennen, um mich an das Elend meiner Kindheit zu erinnern, dieses Ferkel. Ich schmeiß sie raus aus meinem Haus. Mir gehört das Haus, ich kann mir aussuchen, wer darin wohnt, und ich schmeiß sie raus!« Aber sie
    schon so lange wie Glum Ȭ und außerdem: Manchmal schlich die Großmutter
    sich demütig in die Küche und kostete von Boldas Gekochtem: Steckrübenbrei, Magermilchsuppe und von dem sauren, dunklen Brot, das Bolda irgendwo in der Stadt auftrieb. Dann fielen Tränen aus dem blühenden Gesicht der Großmutter in den Teller, von dem sie stehend aß, und über Boldas Gesicht huschte ein seltsames, gutes Lächeln, das ihr dünnes, papierweißes Gesicht jung erscheinen ließ.
    Ums Mittagessen mußte jede Partei sich selbst kümmern. Glum hatte seine
    Suppe, und im Eisschrank und auf den Küchenregalen lagen seine Gurken, Melonen, Kartoffeln und große, violette Kringel von seiner Blutwurst, die eigentlich gar keine

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