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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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geworfen werden, damit der Fluß nicht alles überschwemmte und viel, viel Gold mitbringe. Es geschah heimlich, und die Leute, die meinen Vater zum Kommissar gemacht hatten, durften es nicht wissen, aber niemand erzählte was, und niemand von den Leuten merkte etwas, denn die Jungen im Dorf zählte ja keiner Ȭ es gab viele Jungen im Dorf.«
    Um so viel zu erzählen, brauchte Glum schon mehrere Tage, und langsam, in jahrelangem Fragen und Bohren Ȭ brachte Martin Glums Geschichte heraus. Gold wuschen die Männer aus dem Schechtischechna, und dieses Gold bekamen zum Teil die Männer, die Glums Vater zum Kommissar gemacht hatten, das meiste Gold aber bekam Fritz! Während er von Fritz sprach, malte Glum Sträucher, den Wald, Beeren und den eiskalten Schechtischechna. Fritz wußte einen Übergang über den Fluß, und Fritz kam und brachte Zigaretten,
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    »die weißen Stengel, die das trockene Glück ins Gehirn setzen« — und Fritz
    brachte noch etwas anderes, Weißes in Glasröhrchen, und an Glums genauer Beschreibung erkannte Martin, daß es Ampullen waren, wie sie der Arzt in die Spritze sog und der Großmutter in den Arm setzte. »Was machte dein Vater damit, Glum?«
    »Das verstand ich erst später«, sagte Glum. »Im Frühling war in der Hütte im Wald immer ein Fest, an dem die jungen Mädchen teilnehmen mußten, keine älteren Frauen, nur junge Mädchen, und mein Vater und noch zwei Männer, die wir Schamanen nannten, und wenn die jungen Mädchen sich weigerten, an dem Fest teilzunehmen, verfluchte der Schamane sie, und sie wurden ganz krank« Ȭ hier schwieg Glum eine Weile, wurde rot, und dunkel stieg es im Halse herauf in sein Gesicht, und Martin begriff sofort, daß dort in der Hütte im Wald, fünfzehntausend Kilometer entfernt, Unschamhaftes, vielleicht Unmoralisches getan worden war.
    »Wenn die Mädchen dann bereit waren, an dem Fest in der Hütte
    teilzunehmen, wurden sie wieder gesund, und beides, Krankheit und Gesundheit, brachte Fritz in den Glasröhrchen.« Später war Glum geflohen, weil sein Vater ihn auserwählte, in den Schechtischechna geworfen zu werden, und Fritz half Glum, zu fliehen Ȭ langsam erzählte Glum, manchmal nur ein paar Sätze und wochenlang nichts, und wenn es auf halb sieben ging, hörte er plötzlich auf, wusch die Pinsel aus, trocknete sie sorgfältig, zündete die Pfeife wieder an und setzte sich bedächtig auf den Rand seines Bettes, um die Pantoffeln aus Ȭ und die Schuhe anzuziehen. Schön leuchteten hinter ihm die Farben auf seiner Landkarte, aber der Teil der Erde, der noch weiß war, erschien Martin unendlich, weiße Meere, nur durch dünne Bleistiftstriche vom Lande getrennt, Umrisse von Inseln, Flüsse, die alle um den winzigen schwarzen Punkt herum angeordnet waren, der Glums Geburtsort bezeichnete Ȭ weiter nach unten und nach links auf der Karte, in Europa, lag dann der zweite schwarze Punkt, der Kalinowka hieß, der Ort, an dem Martins Vater gefallen war — und wieder nach oben und weit nach links, fast am Rande des Meeres, lag der dritte schwarze Punkt, der, an dem sie wohnten; verlorenes Dreieck auf einer unendlichen Fläche. Glum schnitt, während er sich umzog, kleine Stücke aus dem Kürbis heraus, den er auf
    und Dogmatik in seinen Leinenbeutel und stieg in die Küche hinunter, um
    seinen Henkelmann zu füllen und zur Straßenbahn zu gehen.
    Oft entstanden große Pausen zwischen den Sonntagen, an denen Glum Lust hatte zu erzählen, und wochenlang bekam er nur zwei, drei Sätze aus Glum heraus, aber immer fuhr Glum da fort, wo er beim letzten Male aufgehört hatte. Seit dreißig Jahren war Glum schon von zu Hause weg. Fritz hatte ihm geholfen, und er war in die Stadt gegangen, wo die Männer wohnten, die seinen Vater zum Kommissar gemacht hatten, Atschinssk hieß die Stadt. Dort hatte Glum Straßen gebaut, war Soldat geworden und immer weiter westwärts gerollt worden. Glum pflegte seine Hände zu bewegen, als ob er einen Schneemann rollte, um zu zeigen, wie er westwärts gerollt worden war. Andere Städte tauchten in seiner Erzählung auf: Omsk Ȭ Magnitogorsk und weiter, viel weiter westlich, eine andere Stadt, Tambow. Dort war Glum nicht mehr Soldat gewesen, sondern bei der Eisenbahn, er hatte Waggons entladen, Holz, Holz und Kohlen, Kartoffeln. Und abends ging Glum auf die Schule und lernte lesen, schreiben, und er wohnte in einem richtigen Haus und hatte eine Frau; Tata hieß Glums Frau. Er beschrieb sie, malte sie, blond und ganz rund und

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