Haus Ohne Hüter
Wurst war. Auch Bolda kochte auf Vorrat, farbloses Zeug, das in braunen Emailletöpfen alterte. Die Großmutter hatte ihre eigene, die größte Abteilung im Eisschrank: Würste und Steaks, Haufen frischer, großer Eier, Obst und Gemüse, und manchmal stand sie nachmittags gegen vier, die Zigarette im Mund, bratend am Gasherd und summte Lieder, während Dampf ihr um die Nase wirbelte. Oft auch rief sie ein Restaurant an und ließ sich warmes Essen bringen: glühendheiße Silberschüsseln, langstielige Becher mit Eis, auf dem weiße Sahnekronen getürmt waren, Rotwein; sie brachte es fertig, sich sogar den Kaffee aus dem Restaurant bringen zu lassen. Oft auch aß sie außer dem Frühstück gar nichts, oder sie ging im Morgenrock Ȭ die Tomahawk im Mund Ȭ durch den Garten und schnitt sich, mit alten Lederhandschuhen an den Händen, Brennesseln ab, die in ganzen Kolonien dort wuchsen, entlang der schimmeligen Mauer und rings um die Laube. Sorgfältig suchte sie junge, grüne Pflanzen heraus, sammelte sie in Zeitungspapier, und später stand sie dann in der Küche, machte Brennesselsalat, zu dem sie sich saures, dunkles Brot von Boldas Vorrat abschnitt. Die Mutter vergaß manchmal, für ihn und Albert ein Mittagessen herzurichten. Sie selbst aß wenig Ȭ Toast zum Frühstück, ein Ei und viel Kaffee. Wenn sie überhaupt da war, fiel es ihr nachmittags gegen drei oder vier Uhr ein, ein Mittagessen zu machen: schnell eine Suppe aus Büchsen, die sie erhitzte, kleine Schüsselchen mit Salat, und es kam vor, daß sie aus Glums Vorrat Suppe nahm und sie rasch wärmte. Dann legte sie Glum einen Kringel Wurst oder ein Päckchen Tabak hin, und er füllte abends grinsend soviel
Mutter weggefahren, plötzlich, ohne Essen für ihn zu machen, dann machte Onkel Albert etwas; nahm von Boldas Steckrübenmus, verbesserte es mit Butter und Milch, buk schnell ein Spiegelei oder einen Pfannkuchen. Aber manchmal war keiner da, weder Mutter noch Albert, noch Bolda und nicht Glum: Dann blieb ihm nichts anderes übrig, als bei Glum Suppe zu klauen, sie zu wärmen oder in Mutters Zimmer nach Schokolade und Gebäck zu suchen, denn zur Großmutter mochte er nicht gehen. Sie würde Fleisch braten oder mit ihm in die Stadt fahren, und er würde mit ihr »Die Großfürstin und der Kotzer« spielen. Das, was er wirklich gern aß, bekam er nur selten: Kartoffeln, frisch gekocht oder frisch gepellt, noch dampfend und ganz gelb, mit Butter und Salz. Die mochte er gern, und niemand wußte, wie gern er sie aß, nicht einmal Albert und Onkel Will. Manchmal konnte er Bolda überreden, ihm welche zu kochen: eine ganze Schüssel voll, in der Mitte ein Klumpen Butter, der langsam zerschmolz, und feines, ganz trockenes Salz, weiß wie Schnee, das er langsam mit den Händen darüber streute. Andere Leute aßen jeden Tag Kartoffeln, und er beneidete sie darum: Brielach mußte jeden Tag welche fürs Abendessen kochen, und manchmal durfte er Brielach helfen und zum Lohn frischgepellte Kartoffeln essen. Bei anderen Leuten Ȭ er hatte es genau gesehen Ȭ war alles anders: Dort wurde regelmäßig und für alle dasselbe gekocht: Gemüse, Kartoffeln und Soße. Alle aßen dasselbe: Großmütter, Mütter, Väter und Onkel. Dort gab es keine Eisschränke, in denen jeder seine merkwürdigen Spezialitäten aufbewährte, und keine großen Küchen, in denen jeder sich zurechtkochen konnte, was ihm einfiel. Dort stand morgens die große Kanne Kaffee auf dem Tisch, Margarine und Brot und Marmelade, und alle aßen zusammen und bekamen Butterbrote geschmiert für die Schule, fürs Amt, für die Arbeit; und Eier gab es selten, fast nur für Onkel und Väter. Das war das Kennzeichen der meisten Onkel und Väter und das einzige, was sie von den anderen Familienmitgliedern unterschied: ein Ei zum Frühstück.
Andere Jungen hatten Mütter, die kochten, nähten, Butterbrote schmierten,
auch die unmoralischen — aber seine Mutter kochte nur selten, nähte nie und schmierte keine Butterbrote. Meistens war es Onkel Albert, dem einfiel, daß man in die Schule Butterbrote mitnahm.
Manchmal auch erbarmte Bolda sich seiner und schmierte ihm Butterbrote,
und es war ein Glück, daß die Großmutter noch schlief, wenn er in die Schule ging, denn sie legte alles darauf an, ihn zum Fleischfresser zu machen, schnitt dicke Scheiben rosig schimmernden Bratens ab, auseinandergerissene Schweineschenkel, kaltes, knallrotes Muskelfleisch.
Monatelang aber war die Großmutter zum Glück verreist, und
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