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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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woanders vermutet. Berlin war wirklich Hamburg viel näher als Warschau; Falk hatte Recht gehabt. Während ich auf die Verbindungslinien nach Berlin starrte, dachte ich an die morgige Rückfahrt, die lange, öde Strecke durch die DDR , die Rastplätze, die man nicht verlassen durfte, die immergleichen Gesichter der Grenzsoldaten. Die Mauer. Die einsame Stadt: Der hellblaue Fleck inmitten all des Rosarots auf dieser Karte. Das andere Blau war so weit weg. Gehörte doch nicht dazu. Der Fleck Berlin irgendwo.
    Ich klappte den Atlas zu und ging unter dem Vorwand, aufs Klo zu müssen, nach unten, zu den alten Herrschaften, die angefangen hatten, zu tanzen.
    Am nächsten Tag saßen wir endlich im Auto, und Wiebke nahm den Abzweig in Richtung Hannover. So schweigsam, wie Wiebke und Klaus auf der Feier gestern gewesen waren, so gesprächig waren sie jetzt, sie schimpften über alles.
    »Das Schlimmste waren die Reden! So was Fades, Krampfiges, und jedes Wort abgelesen, nein, schrecklich!« Klaus schüttelte den Kopf.
    »Und diese Fragen nach unserer Ofenheizung, als gäbe es nichts Wichtigeres im Leben als geheizte Fliesen im Bad!«, tobte Wiebke. Klaus sagte nichts dazu. Er hasste das tägliche Kohlenschleppen im Winter in den vierten Stock und war froh darüber, dass Falk das übernommen hatte.
    Falk schimpfte über unser Auto, denn er wusste nie, wo er seine langen Beine unterbringen sollte.
    »Ich verstehe diese Neugierde nach der Höhe der Berlinzulage nicht, ich will doch nicht über unseren Kontostand ausgefragt werden!« Klaus spuckte einen Kirschkern aus dem Fenster, der jedoch eine lange, violette Schliere auf der Scheibe hinterließ.
    »Und immer diese blöde Frage, wie es denn so sei, zur Miete zu leben. Als müsse jeder in einem Einfamilienhaus wohnen! Die ticken doch nicht mehr richtig.« Während Wiebke sprach, beobachtete ich ihr Gesicht im Rückspiegel. Es wurde immer röter. Als sie auf einmal Gas gab, klammerte ich mich panisch an ihre Kopfstütze.
    »Du hast Recht, wirklich«, pflichtete Klaus ihr sofort bei und legte beruhigend eine Hand auf ihren Oberschenkel. »Dabei wohnen wir in einer Art Belle-Etage- Wohnung! Hohe Decken und Stuc k – so was kennen die ja gar nicht.«
    Dazu sagte Wiebke nichts. Sie hatte mal angedeutet, dass ihr der Stuck an unserer Wohnzimmerdecke zu wilhelminisch sei. Auf diese Bemerkung hin hatte sich damals eine endlose Diskussion zwischen Klaus und ihr entwickelt, die zeitlich vor Bismarck ansetzte und in einem Wust von ungeklärten Fragen, aufgeworfenen Thesen und allgemeiner Unzufriedenheit endete. Falk hatte schließlich genervt zu Wiebke gesagt: »Ist wilhelminisch bei dir ein Synonym für ›schlecht abzustauben‹? Dann sag’s doch gleich und pack nicht so viel Ornament in deine Wort e …«
    Falk war erst heute Morgen um vier Uhr in unserem Zimmer aufgetaucht und hatte gesagt, er habe »einen Waldspaziergang« gemacht. Ich war sicher, er hatte irgendetwas Spannendes entdeckt, ein verfallenes Hexenhäuschen, einen Autoschrottplatz, ein totes Tier, etwas, was er für sich behielt. Die ganze Verwandtschaft war beunruhigt, und Klaus hatte seine Mühe, ihnen zu erklären, dass wahrscheinlich kein Grund zur Sorge bestünde. Sehr begeistert waren die Leutchen natürlich nicht gewesen, dass Falk sich nur kurz mit Essen vollstopfte und danach sofort verschwand.
    »Also die sind ein bisschen zu sehr in Sahne getaucht«, begann er. »Diese Tante Gisela hat mich beim Frühstück allen Ernstes gefragt, ob ich in Berlin nicht täglich ein Messer in der Tasche haben müsste, um mich zu verteidigen. Und Uwe, dieser Bank-Arsch, hat sich bei mir erkundigt, ob es stimmt, dass in Kreuzberg lauter Chaoten Steine in Schaufensterscheiben schmeißen und sich einfach in die Häuser anderer Leute setzen, bis die Polizei sie rauswirft. Ich dachte echt, ich tille.«
    Wiebke gab ordentlich Gas, und ich bekam wieder Angst.
    Die Fahrt von Paderborn zum Grenzübergang Helmstedt war lang und anstrengend. Auf einem Rasthof stritten Falk und ich uns mit Wiebke, weil wir Pommes essen wollten, Wiebke aber meinte, es sei noch genug Proviant da, wir sollten kein Fastfood in uns hineinstopfen. Also aßen wir Graubrotstullen mit eingetrocknetem Schmelzkäse, der schiere Vitaminschub. Klaus las im Auto Zeitung, was Wiebke ärgerte, denn sie wollte, wenn sie schon die ganze Zeit am Steuer saß und er sich darum drückte, »wenigstens unterhalten« werden. Aber Falk und ich waren auch nicht in Redestimmung. Am

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