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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Grenzübergang hatte sic h – in all den Jahren hatte ich es nie anders erleb t – ein riesiger Stau gebildet. Das übliche Spiel begann, jeder meinte, diese oder jene Autoschlange käme besonders zügig voran. Immer wenn Wiebke gerade die Spur gewechselt und irgendeinem Idioten fast in den Kotflügel gerammt wäre, hört die schnelle Schlange auf, sich zu bewegen. Dann wechselten wir wieder, und das Gleiche begann von vorne. Weil es heiß und die Laune meiner Eltern nach diesem Verwandtenbesuch angespannt war, war das untätige Warten besonders nervenaufreibend. Falk musste aufs Klo und wollte neben das Auto pinkeln, aber Wiebke redete auf ihn ein, dass sie keine Lust habe, wegen seiner Faulheit Strafe zu zahlen. Falk provozierte das Ganze noch, indem er mit einem Haschtütchen herumspielte, aber diesmal tat Wiebke ihm nicht den Gefallen, sich aufzuregen. Dafür nahm sie Klaus wütend die Zeitung aus der Hand und rief: »Massier mir mal den Nacken!«, was der gehorsam tat.
    Wir warteten eine geschlagene Stunde, und Wiebke meinte, die DDR sei ein Land, in dem Warten den halben Tag der Einwohner ausmache. Man müsse beim Einkaufen warten, wenn man in ein Restaurant gehen wolle, warten, wenn man ein Auto kaufen, eine Wohnung mieten woll e – immerzu warten.
    »Kommt daher der ›Wartburg‹?«, kicherte Falk, aber Wiebke ignorierte ihn.
    »Mich würde das lange Warten wenig stören, wenn man am Ende etwas Gutes bekäme«, meinte Klaus, »aber das Essen, die Autos, die Kleidung, das is t alle s … fade.«
    »Hast du deinen grauen Anzug eigentlich im Osten gekauft?«, fragte Falk, und Klaus musste grinsen, dann zog er ihn am Ohrläppchen: »Haaach, du, du bist mir schon ein rechter Quälgeist.«
    »Stimmt es wirklich, dass es so viele DDR -Spione im Westen gibt?«, fragte ich. Wiebke belehrte mich daraufhin, dass der Westen umgekehrt genauso Spione in den Osten schickte, und dann, mir nichts dir nichts, waren Wiebke und Klaus bei einem ihrer Lieblingsthemen angelangt: Deutschlandpolitik. Von spannenden Spionen keine Rede mehr. Sie mussten immer bis zu Bismarck zurückgehen, um ein heutiges Phänomen zu erklären. Es ging um Schuld und Verdrängung, um Wiederaufbau und fehlgeleitete »Frustrationsenergien«, alles verquickte sich zu einem unverständlichen Brei, Klaus zitierte Alexander Mitschmatsch, irgendetwas über die Unfähigkeit, traurig zu sein, wobei ich dachte, dass Wiebke und Klaus alles andere als ein Beispiel für diese Unfähigkeit waren (später begriff ich, dass es Mitscherlich eher um Oma Helenes geradezu starrsinnigen Frohmut ging als um Wiebkes und Klaus’ chronisches Leiden an der Welt). Am Ende ihrer parallel laufenden Monologe waren beide Länder, BRD und DDR , von Grund auf schief gewickelt, Irrwege, alles war desolat, und der einzige Hoffnungsschimmer für Wiebke und Klaus war wie immer die Stadt, in die sie »geflohen« waren, die Stadt, die nicht BRD und nicht DDR , sondern, und das klang in meinen Ohren sehr merkwürdig, »ein eingezäunter Freiraum« sein sollte. So ’ne Art großes Rattenloch also?
    Wir mussten unsere Pässe aus dem Fenster reichen, der Soldat guckte ungeduldig, weil Falk sich Zeit damit ließ, seinen Pass herauszurücken, dann ließ er uns mit regungsloser Miene passieren.
    Sofort fuhr sich die Autobahn anders, in Abständen von ungefähr fünfzig Metern fuhr man über Bruchnarben, ein monotones Gerumpel. Auch die Farben der Verkehrsschilder waren heller, blasser. Statt hell erleuchteter Bungalows standen auf den Rastplätzen nur ein paar karge Sitzgelegenheiten. Einmal hielten wir an, weil Wiebke müde war, und setzten uns an einen in den Boden geschraubten Holztisch, wo wir die letzten trockenen Graubrotstullen und lauwarmen Kakaotrunk zu uns nahmen. Zum Nachtisch gab Wiebke jedem von uns einen Nimm2-Bonbon. Der Vitamine wegen, vermutlich. Auf dem Rastplatz standen nur noch ein paar riesige Lastwagen, und im Gras lagen verschissene Taschentücher. Dann stiegen wir wieder ins Auto, rechts und links flog die undurchsichtige Front aus grünen und anthrazitfarbenen Tannen an uns vorbei, sie würden kein Ende nehmen bis zum nächsten Grenzübergang. Die zweieinhalbstündige Fahrt durch die DDR kam mir immer ewig vor: Bäume, Bäume, Bäume, blasse Schilder, Autokolonnen, man durfte nicht schneller als hundert fahren, die Bruchstellen im Asphalt, und manchmal in der Ferne große Häuserblocks, Industrie. Nur wenn wir an dem Hinweis Magdeburg vorbeifuhren, änderte sich

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