Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
Vom Netzwerk:
etwas. Wiebke fuhr jedes Mal ein bisschen zu schnell, weil sie sich darüber so freute: »Guckt mal, der Magdeburger Dom!« Dann drehte Klaus jedes Mal brav den Kopf, Falk und ich nicht mehr, und manchmal legte Klaus eine Hand auf Wiebkes Schenkel.
    Wir waren am zweiten Grenzübergang angekommen. Es war zum Glück nicht Dreilinden, vor dem ich als Kind Angst hatte wegen des russischen Panzers, der in Richtung Berlin weist. Kurz musste ich an Tante Gisela denken. Wir stellten uns an eine der längsten Schlangen, was ich etwas fatalistisch fand, aber Wiebke meinte, sie »sei es leid, immer herumzukurven«. Nach der langen Fahrt waren wir alle müde, nicht in Streitstimmung. Wir kamen fürchterlich langsam voran.
    Ich erinnerte mich, wie wir einmal sieben Stunden am Grenzübergang gewartet hatten, um ins Riesengebirge zum Wandern und nach Brünn zu einer Künstlergruppe zu fahren, über die Klaus schrieb, und dann wurde unser Auto von oben bis unten durchsucht. Zum Glück hatte Falk damals noch nicht gekifft. Ich fand Brünn tödlic h – was Wiebke und Klaus mir sehr übelnahmen. Wir übernachteten in einem Hochhaus, der Portier war ein unfreundlicher Fettsack, und alles war bleifarben und traurig. Die Fassaden der Häuser, der Geschmack der Brötchen, die Musik in den Cafés, alles. Doch Wiebke und Klaus rannten in eine Kirche und ein Museum nach dem anderen, fotografierten sich gegenseitig auf einer Brücke und huschten durch dunkle Altstadtsträßchen, die mich an Kreuzberg erinnerte n – was Klaus »Unsinn« fand. Wiebke und Klaus machten in Brünn das Gleiche wie in Paris oder Straßburg, Rom oder Oslo, doch ich fühlte mich anders. Ich merkte, dass die Leute mich ansahen. Nach drei Tagen hatte ich eine Stirnhöhlenentzündung und musste in dem spärlichst eingerichteten Hotelzimmer bleiben, da halfen keine Bonbons, keine liebgemeinten Aufmunterungen.
    Der Ford Granada vor uns hatte offenbar einen Monchichi-Fan als Fahrer. Sechs Mini-Monchichis baumelten an der Rückscheibe. Einer saß in einem kleinen Ufo, ein anderer trug eine Sonnenbrille und eine Badehose, der nächste einen Arztkittel mit einem kleinen roten Kreuz auf der Brust. Ich glotzte und glotzte, und wir blieben auf der Stelle. Auf der Ablage hinter der Rückbank hatte der Granada zwei Klorollen unter gehäkelten Häubchen. Ein blauer Aral-Atlas lag daneben. Der Einband war wellig von der Hitze.
    Falk schlief. Seine schwarzen Zotteln hingen über sein schmales Gesicht. Falk war hübsch, fand ich, trotz seiner Blässe und den Ringen unter den Augen. Einmal, als ich ihm ein Maoam in den Mund geschoben hatte, hatte ich gemerkt, wie weich seine Lippen waren.
    Wir fuhren eine halbe Autolänge und blieben wieder stehen. Im Radio wurde gemeldet, dass die Cap Anamur nach drei Jahren zurückgekehrt war. Sie hatte über neuntausendfünfhundert vietnamesischen Flüchtlingen das Leben gerettet. Diese Nachricht inspirierte Klaus dazu, Wiebke überraschend auf die Wange zu küssen.
    Endlich, endlich waren wir durch den Grenzübergang gekommen. Berliner Ring, Avus, man brauchte nicht mehr nur hundert zu fahren, Wiebke gab beschwingt Gas, und der Tacho unseres klapprigen Sciroccos kletterte auf 150. Jedes Mal, wenn wir die Grenze passiert hatten, fiel eine kleine Last von uns ab, als hätten wir doch irgendwo im Hinterkopf die Furcht, eines Tages nicht mehr nach Hause gelangen zu können. Als ich die Gedächtniskirche sah, Penner am Bahnhof Zoo, Herrn Pech, der mit Waldemar aus dem großen Beate-Uhse -Laden kam, und als uns eine Taube auf die Windschutzscheibe schiss, wusste ich: Ich war zu Hause.
    Wiebke und Klaus wurden wieder aufgeräumter, betuschelten irgendetwas. Sie taten immer so, als würden sie West- oder Restdeutschland physisch nicht vertragen, zu warm, zu sonnig, zu sauber, zu hübsch, da kollabierte der Körper halt. Es nieselte. Vor McDonald’s prügelten sich zwei Türken, unter der Polizeikanzel saßen die üblichen abgemagerten Mädchen mit schwarzen verfilzten Haaren und lackierten sich die Nägel. Wiebke erzählte Klaus mit wiedererwachter Energie von irgendwelchen Vernissagen, die noch diese Woche stattfanden. Alles wie gehabt. Als wir an der Musikhochschule und an der Freien Volksbühne vorbeifuhren, wurde ich aufgeregt, da war unser Haus. Unser Hof. Unser Hauser! Wiebke brauchte ewig, um den Scirocco richtig einzuparken, Klaus saß genervt daneben, sagte aber nichts, da er ja nicht am Steuer saß. Ich wollte endlich raus aus der Kiste, neun

Weitere Kostenlose Bücher