Hausers Zimmer - Roman
dem schicken Jackett war nicht mehr viel zu sehen. Er bot mir auch eine Schürze an, aber ich verzichtete eiligst. Während wir weiter schnippelten, sprachen wir über Traumurlaubsziele und waren uns schnell über Südamerika einig; als ich ihm den urwüchsigen, kaum bevölkerten Süden des Kontinents östlich der Anden beschrieb, wollte er auch nach Patagonien mitkommen.
Den Fisch bereitete Steffen fachmännisch zu; er rieb die Forelle mit Merrettich-Sahne-Sauce ein und röstete die Zwiebeln. Dann hielt er abrupt inne: »Ich hab was vergessen«, rief er und stürmte aus der Küche. Einen Moment später erklang das Requiem von Mozart. Die Kassette musste er schon vorher rausgesucht haben, so schnell ging das. Während er den Fisch briet, machte ich einen Chicoréesalat mit Zitrone. Klaus wäre bestimmt neidisch auf unser gutes Essen gewese n … Der Fisch war fertig, Steffen deckte den Tisch, er verteilte weinrote Servietten und bauchige Gläser, dann förderte er eine Flasche Rotwein zutage. Kerzen gab’s auch. So hatte mich noch nie jemand eingelade n … Schließlich setzten wir uns, stießen mit unseren Gläsern an. Zu unseren Füßen saß Trotzki vor seinen Näpfen, bald schlief er ein. Ich sagte Steffen ein Gedicht auf, das ich mir ausgedacht hatte und das aus den Namen von fünfzehn asiatischen Flüssen bestand, ein Lautgedicht. Er lachte, dann dachten wir uns gemeinsam ein Europa-Flussgedicht aus. Die Namen hatte ich parat, aber er war gut darin, sie in eine rhythmische Abfolge zu bringen. Die Wandsbek und die Elbe kamen nur des Klangs wegen zweimal vor.
»Wandsbek Wandsbek
Kyll und Ahr!
Ohm Lahn!
Shannon Kennet
Blackwate We y –
Vättern Vörtsjarv Vättern
Muhu väin
Elbe Inn Elb e – Vardar!
Ebro Duero Arlanza!
Trave Schlei
Petit Morin«
Doch hatte ich das Gefühl, dass Steffen bei dem Europa-Flussgedicht nicht ganz bei der Sache war. Ständig fragte er mich, ob mir das Essen schmecke und ob ich noch ein Glas Wein wolle. Wenn ich »ja« sagte, goss er es mir bis knapp unter dem Rand voll. Ich fühlte mich schon dösig. Nachdem wir jeder eine große Schale Schokoladeneis mit Himbeersoße gegessen hatten, fühlte sich mein Magen an, als ob ich eine mittelgroße Kanzsche Brust verschluckt hätte. Außerdem war ich müde von dem Wein und dem vielen Reden. Ich hatte mich zwar auf das Wiedersehen mit Steffen gefreut, aber jetzt wollte ich nach Hause.
»Hast du Lust, noch ein paar Platten zu hören?« Steffens Blick machte es schwer, »nein« zu sagen. Seine Augen ruhten auf mir. Ich hob fragend die Schultern und sah, wie Steffen bei dieser Geste zusammenzuckte.
»Okay«, sagte ich gedehnt, »bin aber schon etwas müde.«
»Na, wir können uns ja bald hinlegen.« Steffens Zimmer sah sehr nüchtern aus. Sein Schreibtisch, sein Bücherregal, seine Ordner für die Schule, Kissen, Bettzeu g – alles war anthrazitfarben. Nur die weinrote Kerze, die er aus dem Esszimmer mitgebracht hatte, verströmte Wärme. Als er eine Jazzplatte anstellte, sank mir bei dem leisen Gedudel gleich das Kinn auf die Brust.
Ich versuchte mich zusammenzunehmen, faselte irgendetwas über die Hochebenen Patagoniens und die zwischen Anden und Pazifik gelegene Atacama-Wüste und warum ich da wirklich einmal hinfahren wollte. Steffen stieg sofort auf das Wüstenthema ein und erzählte mir, dass die Sahara sich jedes Jahr um eine Fläche ausbreite, die halb so groß wie Westdeutschland sei. Ich nickte müde. Das wusste ich. Hatte er mir schon mal erzählt. Ich wollte aber nach Patagonien, nicht in die Saharaaa a … ich schlief ein.
Steffen rüttelte mich sanft wach: »Mann, das tut mir so leid, das hätte ich mir denken sollen, dass du nicht so trinkfest bist, Rotwein macht wirklich sehr müde, wenn man ihn nicht gewöhnt ist, kann ich dir einen Kaffee mache n … oder lieber Cappuccino?«
Ich schüttelte den Kopf. Mir fiel einfach gerade nichts mehr ein, worüber wir reden könnten.
»Wollen wir schlafen gehen?«, fragte Steffen in diese Stille hinein. Seine Stimme klang unsicher. Bei anderen Leuten konnte ich meist noch schlechter schlafen als zu Hause; auch bei Isa und Fiona hatte ich schon nächtelang wachgelegen. Ich blickte mich um, vor dem Ofen stand sein anthrazitfarbenes Bett, gegenüber eine anthrazitfarbene Couch. Die Couch sah nicht unbequem aus.
»Hm, ja gut.«
Steffen wurde aufgeregt, blies die Kerze aus und zündete sie wieder an, lüftete, dann schlug er das Fenster heftig zu, sinnierte, welche Platte er auflegen
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