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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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leben, in deren westlichem Zentrum am Ende der berühmtesten Straße (die ich täglich passierte) eine zertrümmerte Kirche stand. Als ich kleiner war, fürchtete ich mich vor der Ruine, und auch jetzt noch hielt ich einen gewissen Abstan d – wie zu einem Grab.
    Wir liefen zu unserer Bushaltestelle unter den riesigen Lettern Coca Cola is it , die über die elektronische Werbetafel gegenüber der leeren Polizeikanzel flimmerten. Hinter dem Flimmern sah ich sie, dunkel und zerklüftet, die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.
    Kaum hatten Fiona, Isa und ich uns auf dem Oberdeck hingesetzt, bildeten sich schon Wasserlachen um unsere Stiefel. Die Heizung unter den Sitzen lief auf Hochtouren. Das macht ja jeden Mann unfruchtbar, kicherte Fiona. Erst jetzt, nachdem sie ihren Anorak aufgeknöpft hatte, fiel mir auf, was für ein schönes Tuch sie trug. Es war dunkelgrün und mit hellgrünen Ornamenten verziert. Vielleicht hatte sie es zu Weihnachten bekommen.
    »Wo hast’n das her? Von Anna?«
    »Nein, vom Ekel«, Fiona fuhr sich mit dem Seidentuch einmal über die Wange. Isa und ich nickten nur.
    »Guckt mal!«, rief ich in die plötzliche Stille. Auf dem Rücken der Sitzbank vor uns waren drei kleine Üs. Wir stießen uns an, kicherten. Den Ü-Geheimclub hatten wir, als wir noch in die Grundschule gingen, gegründet, da wir alle Nachnamen mit einem Ü hatten: Zürn, Hülsenbeck, Klüger (für mich kam später auch noch das Ü aus dem schönen Wort »merkwürdig«, das ich ständig verwendete, hinzu und alles, was ich von Serife und Filiz übernahm). Mit grünen Üs hatten wir früher Lieblingsorte markiert, mit gelben warnten wir uns vor blöden Leuten oder Orten, die keinen Besuch lohnten. Rote Üs bedeuteten: hier gibt’s Ärger, hier darf man eigentlich nicht hin. Und mit blauen unterzeichneten wir unsere Geheimbriefe, die wir unter die Fußmatten im Treppenhaus legten.
    Auch bei uns auf dem Hof hatten wir ein paar Üs hinterlassen. Sie waren handtellergroß, aber es hatte sich nie jemand darüber aufgeregt. Nicht mal Pechs. In Anbetracht von Herrn Kanz’ Skulpturenhaufen, des Gerümpels von Herrn Olk und der ausgebreiteten Gerätschaften vom Hauser waren ein paar freundliche Üs wohl nicht der Rede wert. Nur der Hauser hatte mal gegen sie gepinkelt. Hoffentlich wusste er nicht, wen er da beleidigte!
    Schweres, süßliches Parfüm wehte in unsere Richtung. An der Ecke Bleibtreustraße war eine Ku’dammlady aufs Oberdeck gestiegen. Sofort begann ich übertrieben zu husten. Ku’dammlady s – so nannten wir einen bestimmten Typ von Frauen mit nach Elnett riechendem, entweder albinohaft weißblond oder blauschwarz gefärbtem Haar und dick aufgetragenem rosafarbenen Lippenstift. Nach meiner gespielten Hustenattacke stand die Ku’dammlady geräuschvoll auf und stakste mit ihren vier vollen Einkaufstaschen nach vorn. Diese stets gut gefüllten Einkaufstaschen der Ku’dammladys sorgten für eine unverwechselbare akustische Aura aus Knistern, Rascheln und Knautschen. Die Kauferregung selbst klang noch in ihnen nach. Würde man die Menschheitsgeschichte anhand von Geräuschen erzählen wollen, wäre die zweite Hälfte des 20 . Jahrhunderts zumindest in Nordamerika und im westlichen Europa mit diesem erwartungsfrohen, unaufhörlich sich immer wieder selbst in Schwingung bringenden Knistern und Knautschen von Plastiktüten am besten wiedergegeben.
    Die olfaktorische Aura, die diese Damen umgab, fehlte auch nie. Die Inhaber der Ku’dammparfümerien müssen sich, sofern es sie noch gibt, nach den frühen Achtzigerjahren sehnen, es sind sicherlich Bombenjahre für sie gewesen.
    Zwei Jahrzehnte später sprachen die Ku’dammladys hauptsächlich Russisch, dann starben sie bis auf wenige besonders herausgeputzte Exemplare aus. Diese letzten, nicht mehr königinnenhaft, sondern verloren und misstrauisch über den Ku’damm schleichenden Damen schienen aus einer vergangenen Zeit übrig geblieben zu sein. Mit ihrem eingefrorenen Lächeln. Permafrostmimik.
    Noch lehnten sich die Pelztussis, Tierquälerinnen und Stinkbomben, wie wir die Ku’dammladys auch nannten, gegen jede Zeitenwende auf und verteidigten hochnäsig ihren Ladywohlstand. Noch raschelten sie mit ihren vielen Tüten. Noch spreizten sie die Federn. Noch flanierten sie in ihren Pelzen.
    Fasziniert und abgestoßen zugleich folgte mein Blick den goldenen Pfennigabsatzstiefeln, an deren oberem Saum einige Strasssteinchen in Herzform blinkten. Doch die Herzchen täuschten.

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