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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Spinne hatte. In der Decke klaffte ein Loch. Dämmwolle und -streu fielen nach unten. Einen Moment lang dachte ich: Jetzt kommt gleich noch eine ganze Rattenfamilie aus der Decke gehopst, aber wir hörten sie nur vergnügt fiepen und scharren.
    Teile der Installation waren in den verfilzten Haaren von Arne hängengeblieben oder in unser Essen gefallen. Da darunter winzige Metallplättchen waren, die man gar nicht alle aus den Schüsseln herausfischen konnte, musste unser gesamtes, noch unangetastetes Weihnachtsessen in den Müll befördert werden. Arne war nichts weiter passiert, aber weder meine Eltern noch er waren glücklich über die in seinen Haaren und in seinem Bart verhedderten Kunstwerküberbleibsel.
    Die restlichen Weihnachtstage hatten wir damit verbracht, die übrig gebliebenen Glöckchen, Schellen, Klingeln und Rasseln wieder in Position zu bringen. Wiebke, die Norwegisch sprach, telefonierte fast ununterbrochen mit dem verzweifelten Künstler in Bergen, der ihr komplizierte technische Anweisungen gab, die sie wiederum versuchte, in einem Kauderwelsch aus Norwegisch, Deutsch und familieninternen Sonderausdrücken an uns weiterzugeben.
    Wir ernährten uns in diesen Tagen hauptsächlich von Dominosteinen, Marzipankugeln und Zimtsternen, die überall in Schalen, die Wiebke geflissentlich auffüllte, herumstanden. Gelegentlich schob Wiebke un s – stets um unseren Vitaminhaushalt besorg t – Apfel- oder Orangenstücke zu. Hin und wieder raffte sich einer von uns auf, die vielen Öfen zu befeuern, was bei der Anzahl der Zimmer beträchtliche Zeit in Anspruch nahm.
    Die Rekonstruktion war eine ungeheuerliche Arbeit gewesen, die mir zumindest deutlich machte, wie viel Mühe dieser norwegische Environment Artist freiwillig auf sich genommen hatte. »’n Knall muss der haben«, sagte Falk einmal im Morgengrauen. Der Dominoeffekt funktionierte am Ende immer noch nicht. Wenn man an einem Glöckchen, einem Klangplättchen, einer Tröte oder einer Schelle zog, machte nur genau dieses eine Objekt kling, bim, tröt oder tscheng. Unsere Arbeit war umsonst gewesen.

Mottenmuseum, Denkzimmer – Wer A sagt, muss auch ’n Kreis drum machen
    Isa, Fiona und ich näherten uns in Zeitlupe dem grauen Kasten mit den langen schmalen Fenstern. Unser Gymnasiu m – auch so eine Art Mottenmuseu m – lag in einer wohlhabenden Gegend der Stadt. Wir drei wurden, als wir neu auf dieser Schule waren, von manchen Mitschülern schräg angeguckt, bloß weil wir in einem Mietshaus und nicht in einer Villa in Grunewald oder Zehlendorf wohnten. Nur Isa, die von ihren Eltern teure Klamotten bekam, wurde von unseren Klassenkameraden freundlich behandelt, Fiona und ich waren Außenseiterinnen. Wir seien noch nicht in den Achtzigern angekommen, hieß es. Wir hörten nicht die richtige Musik und waren nicht so gekleidet, wie unsere Klassenkameraden es gerade für angesagt hielten. Das indische Kastensystem war nichts gegen unsere Klassenzimmerhierarchie. Dass Isa mit uns befreundet war, minderte ihr Ansehen natürlich etwas.
    In der ersten Stunde, in Chemie, geriet ich mit Melanie und Larissa in die gleiche Arbeitsgruppe. Schlimmer hätte die Schule nicht anfangen könne n – ich hätte lieber ausschlafen sollen. Gehorsam wird doch stets mit Kummer bestraft. Meine beiden Klassenkameradinnen waren so braungebrannt, dass man glauben konnte, Berlin läge am Äquator. Der einzige angenehme Mensch in meiner Gruppe war Steffen, der erst vor kurzem auf unsere Schule gewechselt hatte und bei uns in der Nähe in einem Mietshaus wohnte, also auch dem Plebs aus der City angehörte. Von dem in Grunewald wohnhaften Fernreiseduo wurde er ebenfalls mit Nichtachtung bedacht. Isa und Fiona wurden in jeweils andere Gruppen befehlig t – Herr Knecht versuchte stets, uns drei zu trennen, damit wir nicht tuschelten. Bis er die richtigen Reagenzgläser fand, verging einige Zeit; er wurde langsam senil. Er war im Zweiten Weltkrieg noch bis Griechenland gekommen und schon über sechzig.
    Melanie und Larissa beherrschten wie immer das Gespräch meiner Gruppe. Es ging um teure Klamotten, Musik, Konzerte, Eltern auf Dienstreisen, Mopeds, die diese ihnen ohne besonderen Anlass schenkten, herbeigesehnte Jungs.
    »Und, gehst du zum Kool & The Gang -Konzert?«, wurde ich von Larissa gefragt.
    Ich schüttelte nur den Kopf. Welche Gang schon wieder?
    »Und du?«, fragte ich sinnigerweise.
    »Klar, mit meiner ganzen Clique.« Immer musste Larissa klarmachen, wie beliebt sie

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