Hausers Zimmer - Roman
ist echt too much für mich«, brachte ich schließlich hervor.
»Das tut mir alles so lei d … Bist du mir böse?«
Deshalb nicht, dachte ich, sagte aber nichts. Nicht mehr heute.
Unten stand, ein Glück, die Taxe. Ich riss mich zusammen und gab Steffen einen Kuss auf den Mund. Er saugte sich gleich wieder an mir fest, aber ich machte mich frei und stieg ins Taxi. Und weg war ich.
»Wo geht’s denn hin, Fräulein, zu so später Stunde?«, fragte mich der Schnauzbart vor mir augenzwinkernd. Alle Taxifahrer sahen aus wie Lech Walesa.
»Nach El Calafate«, murmelte ich leise.
Bald stand ich nicht im patagonischen El Calafate, sondern vor unserem taubenverkackten Altbau mit Einschusslöchern. Umständlich kramte ich meinen Schlüsselbund aus der Jeans. Von Weitem sah ich den Grottenolk mit einem alten Kettcar, es sah aus wie das aus dem Rattenloch. Der Olk arbeitete oft mitten in der Nacht. Auf seiner Urbanen Collage hatte er Teelichter verteilt, unser Hof sah fast romantisch aus. Vom Hauser-Reich her wehte mich Gelächter an, Frauengelächter, das schließlich verebbte und vom untergründigen Knabbern, Knistern und Rascheln der vielen Hinterhöfe überlagert wurde.
Oben angekommen schlich ich in mein Zimmer und legte mich, angezogen wie ich war, ins Bett. Ich versuchte zu schlafen, aber Steffens Geruch hing noch an mir, und mein Magen rumorte finster. Schließlich schleppte ich mich durch unseren riesigen Flur, rammte geräuschvoll die Boat People und kotzte aufs Parkett. Schon hörte ich Wiebkes Wollpuschen. Auch das noch. The Wiebkes and the Klauses waren also doch schon zurück. Ich konnte jetzt keine Ausfragen ertragen.
»Jule, mein Gott, was ist denn los?« Wiebke stand in einem ausgeleierten Nachthemd vor mir.
Ich sagte so schnell wie möglich: »IchwarbeieinemEssenhabezuvielAlkoholgetrunkenmiristspeiübel.«
»Ja, wo warst du denn? Was ist bloß passiert? Ja, wo warst du denn? Wie bist du denn nach Hause gekommen? Julika, wo warst du und mit wem?«
Ich schleppte mich an Wiebke vorbei ins Bad, schloss die Tür ab und ging unter die Dusche. Diesen Geruch abwaschen. Mir schlotterten die Beine, aber langsam wurde mir wohler. Einmal klopfte Wiebke an die Tü r – vermutlich um weitere Fragen zu stellen. Ich drehte einfach den Duschstrahl kräftiger auf. Als ich aus der Dusche kam, sah ich, dass Wiebke meine Kotze weggewischt hatte, was ich wiederum sehr nett von ihr fand. Ich schrieb »Gute Nacht« und »Schlafe vielleicht morgen noch während der Maus « auf einen Memoblockzettel und heftete ihn an die Schlafzimmertür meiner Eltern.
Krumme Lank e – Mad World
Den Sonntag verbrachte ich auf dem Balkon und widmete mich meinen Kakteen und Sukkulenten. Wiebke nahm an einer Veranstaltung teil, auf der ein von ihr übersetztes schwedisches Jugendbuch vorgestellt wurde, und war den ganzen Tag unterwegs. Klaus war auf Einladung verschiedener Künstler für ein paar Tage ins Wendland gereist. Mir war es nur recht, meine Ruhe zu haben. Nachmittags hörte ich mehrfach das Telefon klingeln. Steffen ließ nicht locker.
Nächste Woche fing die Schule wieder an, heute wollte ich noch mal »Urlaub machen«. Ich wollte unbedingt weg, in den Wald, ans Wasser, raus aus der Stadt. Vielleicht sollte ich an die Krumme Lanke fahren. Oder an den Schlachtensee. An einen dieser flachen, weiten Berliner Seen, an deren Ufern man denkt, man sei in Finnland. In der U-Bahn nach Krumme Lanke saßen mir zwei ältere Frauen in zitronenfarbenen Jogginganzügen gegenüber, mit dem rosafarbenen Schriftzug Champion ’80 auf der Brust. Die eine kicherte: »Meiner kann immer, ich sag’s dir, nur Hormone im Hirn!«, dann gackerten beide wie wild. Standen offenbar unter Hormonen.
An der Krummen Lanke herrschte entspannte Ferienstimmung. Familien picknickten im Gras, Kinder ließen ihre Beine im Wasser baumeln und saugten geräuschvoll an Strohhalmen, die in Tütenlimonaden steckten. Zwei Mädchen, die in identisch gestreiften Bermudas wie Hanni und Nanni aussahen, ließen Drachen steigen. Ein Drachen verhedderte sich immer oder blieb in den Baumkronen hängen. Das war wahrscheinlich der von Nanni.
Ich schlug die Augustausgabe des GEO -Magazins, das ich mitgenommen hatte, auf: »Buddha ist in Laos nicht rot zu kriegen«, lautete einer der Leitartikel. »Millionen Tonnen Bomben haben die Amerikaner abgeworfen, um den Vormarsch der Kommunisten aufzuhalten. Die Roten haben trotzdem den Krieg gewonne n – nicht aber die Seelen der
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