Hausers Zimmer - Roman
Großen Patagonischen Steppenfliege.
Kaum war ich zu Hause, stampfte Wiebke, wie immer ohne anzuklopfen, in mein Zimmer, die Fußgängerzone: »Telefon für dich! Steffen!«
Ich gab zurück: »Sag, ich bin bei Fiona, du weißt nicht, wann ich wiederkomme!«
Wiebke guckte mich bestürzt an, dann ging sie.
Nach dem Abendessen besuchte ich Falk auf seinem Hochbett. Ich ließ eine halbe Stunde lang Bassgitarrenversuche über mich ergehen, dann, als Falk eine Saite auswechselte, unterbreitete ich ihm die Story mit Steffen. »Der Jazzfritze«, in seinen Worten. Falk hörte mir mit ernstem Gesicht zu, drehte dabei einen Joint. Während er hingebungsvoll am Bauen war, gab er mir den Ratschlag, mich bloß nicht von meinen Klassenkameradinnen unter Druck setzen zu lassen, unbedingt einen Freund haben zu müssen.
»Allein geht es einem meistens am besten«, erklärte mein Bruder und stierte auf das dicke Ende des Joints.
»Und was meinst du, wie soll ich Steffen in der Schule begegnen, wenn der Mistladen nächste Woche wieder anfängt?« Ich blickte auf das aufblitzende Feuerzeug.
»Ganz freundlich, nicht zickig sein, aber dem Jazzfritzen keine falschen Hoffnungen machen. Keine Freundschaft, der muss erst mal runterkommen von seiner Macke!«
Ich schwieg beleidigt, Steffen musste ja nicht unbedingt eine Macke haben, nur weil er in mich verliebt war.
Schließlich kletterte ich vom Hochbett herunter. »Tschaaauuu«, rief Falk mir noch gedehnt nach. Dann sah ich noch, wie er seine Kladde aufschlug und sich eine Notiz macht e – jetzt wurden meine Probleme auch noch in irgendeiner Kleinen Philosophie verwurstet.
Wieder in meinem Zimmer schaute ich in den Hof. Herr Kanz hatte sein Radio auf eine seiner Brüste gestellt und tobte völlig ekstatisch zu Hold On Tight vom Electric Light Orchestra herum. Ab und zu schrie er: »Ich hab’s geschafft! Ich hab’s geschafft! Meine Anna-Brust steht nächstes Jahr in New York!« Der Olk pinselte nur wenige Meter neben ihm völlig ungerührt Totenköpfe auf einen schlaff aufgeblasenen Globuswasserball.
Nachts stand ich wieder mit meinem Minifernglas am Fenster. Kein Hauser. Ich versuchte, so lange nicht mehr mit den Lidern zu schlagen, bis ich das Fenster von Hausers Wohn- und Schlafzimmer doppelt sah. Noch ein schwarzes Fenster. Enttäuscht kritzelte ich ein schwarzes Quadrat in mein Heft. Und noch eines. Die Zeit schien überhaupt nicht mehr zu vergehen. Alles, was ich tat, war ein Versuch in Bewegungslosigkeit. Könnte die Welt nicht heute, in dieser Augustnacht, einfach implodieren? Nicht explodieren, sondern in einem schwarzen Loch verschwinde n … Irgendetwas hatte die Gravitation, so wie sie einmal war, verändert. Ich döste vor mich hin. Irgendein Hebel war umgelegt worden, oder eben nicht umgelegt worden, nichts passierte, nur ein schweres Gewicht deformierte die Erd e … An Schlafen war kaum zu denken, es war heiß, und bei uns im vierten Stock staute sich die Hitze.
Sommerloch – Das Liebesleben der Nilpferde
Dass das Sommerloch herrschte, war deutlich zu bemerken. In mehreren Berliner Lokalzeitungen waren große Farbfotos von Knautschke und Bulette abgedruckt, ein Artikel beschäftigte sich mit dem Liebesleben von Nilpferden. Und da gab es in der Tat allerhand zu berichten: Knautschke hatte gemeinsam mit seiner Tochter Bulette einige Kinder gezeugt. Diese Inzucht war unterstützt, nicht verhindert worde n – Nilpferde haben kein Gen gegen Inzucht. Wenn Bulette zu alt für die Strapazen einer Schwangerschaft wäre, würde man ihr die Pill e – dem Körpergewicht entsprechend in Brötchengröß e – verabreichen.
»Was anderen eine Königsfamilie bedeutet, ist den Berlinern eine Nilpferdesippschaft«, stellte Frau Hülsenbeck einmal kopfschüttelnd fest.
Jedenfalls war die Knautschke-Bulette-Brut bei bester Gesundheit, auch von ihnen sah ich überall Starfotos. Bald wanderte ein großes Farbtitelbild mit Knautschke und Bulette beim »Kuss« unter durchsichtige Klebefolie und baumelte als Bestandteil der Urbanen Collage bei uns im Hof. Wenn der Olk im Hof herumfuhrwerkte, stellte er seit Neuestem einen kleinen, mit Farbe beschmierten Radiokassettenrekorder auf einer der Kanzschen Erfolgsbrüste ab. Und auf allen Kanälen lief Sonne statt Reagan in diesem Sommer. Ganz besonders oft bei Herrn Kanz, der wochenlang völlig aus dem Häuschen war, dass ein wenig bekannter New Yorker Sammler eine Brust von ihm kaufen wollte.
Eines Nachmittags hörte ich das lang
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