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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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bedeutet das?«, fragte ich Klaus.
    »Dass es mehr Arbeitslose gibt. Noch mehr Arbeitslose«, antwortete Klaus leise und nahm den verkniffenen Gesichtsausdruck des insolventen Firmenchefs, Heinz Dürr, an. Ich sah ihm an, die Lage war hoffnungslos.
    »Das ist ein Teil deutscher Identität!«, rief Wiebke noch, und ich wunderte mich wieder einmal über ihr mal gebrochenes, mal ungebrochenes Verhältnis zu eben dieser Identität.
    Nach der Nachricht von der AEG -Telefunken-Insolvenz ging es um das Waldsterben. Im anschließenden Gespräch staunte ich, wie die Worte »deutsch« und »Wald« für meine Eltern offenbar zusammengehörten. Wiebke und Klaus sprachen vom deutschen Wald , als sei der Wald an sich eine deutsche Erfindung. Und nicht nur die deutsche Romantik. Dann wiederum war Deutschland für sie nur der Rest von etwas Anderem, Wertvollerem. Der Tagesschau -Sprecher sagte etwas über den Zusammenhang von Schadstoffemissionen und dem Absterben der Bäume. Wieder sahen wir Bilder von Baumruinen bis zum Horizon t – was für ein zerstörtes Land. Vom Hof her hörten wir Waldemar kläffen.
    »Ab heute tanzen wir alle die Polonäse ruinöse «, meinte Falk und starrte verzweifelt auf seinen völlig verdrehten Zauberwürfel.
    Kurz vor drei Uhr ging beim Hauser das Licht an. Er warf seine Lederjacke auf den Boden und die Cowboystiefel in die Ecke, dann ließ er sich rücklings auf sein Bett fallen. Weiter zog er sich nicht aus, er rührte sich nicht mehr, und ich musste wohl annehmen, dass ihm in zwei Minuten gelang, was mir in vier Stunden nicht glücken wollte: einschlafen zu können.
    Fröstelnd setzte ich mich auf den Bettrand und kratzte am Schorf einer Wunde an meinem rechten Knie. Das riesige weiße Kissen, die schwere, zerwühlte Daunendecke, das kratzige Frotteelaken mit den Barbapapas drauf, das noch aus meiner Kinderladenzeit stammte, alles lag wie ein fremdes, abweisendes Land vor mir. Das Klappern von Klaus’ Schreibmaschine nebenan war längst verstummt. Nur noch der schwache Schein vom Hauser-Fenster fiel in mein Zimmer. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, dass die Zeit, jetzt in diesem Moment, einfrieren würde, gefangen, in einem schwarzen Loch. Umgeben von einem hellen Schein, der nur langsam mit seinem unaufhaltsamen Herabsinken in das schwarze Loch erlöschen würde.

Spaghettieis – Gedankenameisen
    Am 15 . August hatte Wiebke Geburtstag. Sie lud uns alle am Nachmittag in eine Eisdiele in der Güntzelstraße zu Spaghettieis ein. Jeder bemühte sich, Streit aller Art zu vermeiden. Ein schwieriges Unterfangen. Als wir in die Getränkekarte schauten, holte Wiebke einmal tief Luft, und ich ahnte, dass das, was da jetzt kommen würde, sie Überwindung kostete: »Also, ihr könnt heute ruhig mal eine Cola bestellen.«
    Falk winkte ab. »Nein, nein, doch nicht ausgerechnet heute!«
    Wiebke und er zwinkerten sich zu. Mein Bruder nahm einen naturtrüben Apfelsaft.
    Mich fragte Wiebke ungewohnt freundlich, was für eine Pflanze da auf der Fensterbank stehe. Ich antwortete, dass es sich bei diesem Dickblattgewächs um eine Sukkulente, also ein Wolfsmilchgewächs, handele, und holte noch zu einem kleinen Vortrag über diese überaus merkwürdigen, interessanten Pflanzen, die Stachel und Blätter ausbildeten, aus.
    Während ich sprach, sah ich an Klaus’ Gesicht, dass er mit anderen Dingen beschäftigt war. Zehn Sekunden später wusste ich womit: Er hatte einen Artikel in der ZEIT gelesen, in dem einer seiner Lieblingsautoren abgrundtief verrissen wurde, was in Klaus’ Augen die, wie er sich ausdrückte, Arroganz des Bürgertums widerspiegelte.
    Was das Bürgertum wohl sein sollte, wenn es Menschen wie Klaus ausschloss? Mir kam es vor allem wie ein zutiefst altmodischer Begriff vor. Es gab, wie mir schien, doch kaum verlässliche Unterscheidungskriterien zwischen Arbeiterschaft, Bürgertum, Unternehmern und so weiter. Vor mir verschwamm das Eis, bald war es nur noch ein gelbroter Brei, eine orangefarbene Soße. Alles eine Soße. Proleten, Olks, also Kunstproleten, Bürger, Bürgerproleten wie die Pechs, Spezialbürger wie Klaus. Ich löffelte mein Eis auf.
    Auf dem Rückweg hörten wir im Auto eine Sendung über die Lebensgeschichte von Knautschke. Es ging darum, wie das damals noch sehr kleine Nilpferd den Zweiten Weltkrieg überlebt hatte. Dann wurden die Stimmen verschiedener begeisterter Zoobesucher eingeblendet. Vielleicht hingen die Berliner deshalb so an Knautschke, überlegte ich, weil sein

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