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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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so langweilig wie andere Städte machen würde n – denn vor dieser vermeintlichen Einheitlichkeit und Langeweile war er ja aus Restdeutschland, wie er Westdeutschland gern nannte, »geflohen«, aber gleichzeitig kaufte er sich seine Hemden und Krawatten in eleganten Boutiquen, nie bei C&A oder Leineweber . Und er war eitel: Jeden Morgen betupfte er sich mit Duftwässerchen und wechselte abends, bevor er zu einer Kulturveranstaltung ging, seine Socken. Er ging auch sehr gern Bummeln. Flanieren sagte Wiebke dazu, wenn sie wieder einmal genervt war, dass er so lange für einen Einkauf brauchte. Die Steigerung davon war »Flanieren auf der Bleibtreustraße«. Den Namen dieser Straße, die schon damals für ihre Edelboutiquen bekannt war, sprach Wiebke nie anders als vorwurfsvoll aus. Klaus begann manchen Gang zum Fassbrause holen bei Aldi oder zum Zeitung vorbeibringen bei Erwin und Karl mit einer Stippvisite bei einem der exquisiten Herrenausstatter in der Bleibtreustraße. Anders als Wiebke trug Klaus keine Jeans und Pullunder, sondern jeden Tag Anzug und Krawatte. Er betonte jedoch, dass er keine »spießigen« Anzüge trage, sondern »geschmackvolle«. Und auch seine Krawatten seien keine Angestelltenkrawatten, sondern besonders erlesene Einzelstücke. Deluxe-Hippie hatte Larissa einmal meinen Vater genannt. Klaus sah ganz und gar nicht wie ein typischer Wähler der neuen Igelpartei aus. »Warum sind vernünftige Ansichten so oft mit schlechtem Geschmack gepaart?«, pflegte er theatralisch zu fragen. So etwas strafte Wiebke mit Nichtachtung oder mit »Papperlapapp « – einem Ausdruck von ihrer Mutter, über den sie sich jedoch sehr ärgerte, wenn Oma Helene ihn verwendete.
    Den ganzen Tag übe r – erst in der Schule, dann auf Falks Hochbett beim Musikhören und Plattencover-Angucken und später beim Essen mit The Wiebkes and the Klause s – freute ich mich auf meinen Abend am Fenster.
    Auf dem Nachhauseweg von der Schule sah ich wieder den neuen Apotheker. Er tauschte die Schaufensterdekoration aus. Den Weihnachtsmann löste ein Schneemann ab, ebenfalls mit einer Öffnung im Bauch für die Badeölflasche. Aus der Peepshow kamen zwei Männer mit Anti- AKW -Buttons und fusseligen Bärte n – dicht gefolgt von einem Mann im Nadelstreifenanzug, der als Franz-Josef-Strauß-Double hätte durchgehen können.
    Die einzige schöne Unterbrechung meines Wartens war das Tagesschau -Sehen mit Klaus. Ohne die Tagesschau konnte mein Vater nicht leben; pünktlich wie ein Heroinabhängiger brauchte er seinen Stoff. Zu seinem Leidwesen verpasste Klaus die Tagesschau nicht selten, weil er zu einer Vernissage musste oder einen anderen Termin hatte. Ich hatte ihn schon bei Reden von Kollegen mit seinem Miniradio am Ohr aus Galerien schleichen sehen.
    Wenn wir bei diesem Ritual zusammensaßen, schaute Klaus auf den Fernseher und ich auf sein Gesicht: Denn Klaus hatte die Angewohnheit, jede Person zu imitieren. Heute war er Margaret Thatcher. Die Eiserne Lady gelang ihm jedes Mal auf Anhieb, seine ganze Körperhaltung änderte sich, selbst die Stirn runzelte er sorgenvoll. Falk und ich hatten eine Weile gebraucht, um zu verstehen, dass Klaus diesen Tick nicht für uns erfunden hatte (uns zuliebe übertrieb er das Ganze bloß), sondern instinktiv merkwürdige Gesichter übernahm, zum Beispiel kurz die Unterlippe hängen ließ, zwanghaft blinzelte, die Schultern verkrampft hochzog und so weiter. Er schien sich in Andere besser einfühlen zu können, wenn er ihre Körperhaltung oder ihre Art zu sprechen übernahm. In einer abgelegten Frauenzeitschrift von Larissa hatte ich auf dem Schulhof gelesen, dass Männer sich angeblich weniger für andere Menschen interessieren würden und nicht so einfühlsam wären wie Frauen. Mein Vater bewies jedoch das Gegenteil (meine Mutter übrigens auch). Wenn Klaus mit Frau Hülsenbeck im Treppenhaus sprach, wurde seine Stimme höher als sonst, und er übernahm ihre angespannte Körperhaltung, indem er die Schultern hochzog und die Arme an den Körper presste. Wenn er mit Pechs, dem Hauser oder mit Erwin und Karl redete, berlinerte er plötzlich und ließ die Schultern hängen. Und wenn Frau Koderitz mit Fred an ihm vorbeischlurfte und ihm ein gedehntes »Taaach« zumurmelte, sagte er: »Juuuten Morjen«. Schade, dass ich ihn nie beim Wässerchentrinken mit Breschnew (der ja laut Helmut Schmidt Wodka aus Wassergläsern trank) oder beim Atomwaffenschachspiel mit Reagan erlebte!
    Der Nachrichtensprecher

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