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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Bett fallen. Ich rückte näher an die Scheibe, um ihn mir, er lag auf dem Rücken, genau anzugucken, da riss jemand meine Tür auf. Ich hörte das Reiben von Stoff auf Stoff, von Wiebkes verschiedenen Röcken, die sie in letzter Zeit gern übereinander trug.
    »Mann, ich hab’ schon tausendmal gesagt, dass ihr anklopfen sollt. Ihr latscht hier immer rein, als wär das ’ne Fußgängerzone!«
    »Hach ja, schon gut, Julik a … also, hilfst du mir, Lauch zu schneiden!« Es war eine von Wiebkes typischen Imperativfragen, also keine Fragen, sondern Aufforderungen.
    Ich traute mich nicht, einen weiteren Blick auf den nackten Hauser zu werfen, denn ich fürchtete, meine Mutter träte dann ans Fenster.
    Beim Gemüseschneiden erzählte Wiebke mir ihren letzten Traum: »Ich stehe bei uns auf dem Balkon, und du glaubst nicht, wer da lang kommt, unser grässlicher Nachbar, der Herr Hauser, er läuft Arm in Arm mit einer richtig gut aussehenden jungen Frau, gar nicht mal so viel älter als du, sie sind beide in heller Sommerkleidun g … Da kommt plötzlich, halt dich fest, Julika, jetzt spinnt deine Mutter, also da kommt auf einmal ein Känguru anmarschiert, und die beiden setzen sich wie bei einem Pferd auf den Rücken und galoppieren lo s … Im Hintergrund steht unser Hausverwalter, Herr Clemens, und sagt: ›Sind doch nur 384.000 Kilometer.‹ Na was sagst du, ist das nicht ein lustiger Traum?«
    Mir fiel ein, dass 384.000 Kilometer der mittlere Abstand zwischen Mond und Erde ist, das hatte ich in Geographie gelernt.
    »Denk mal drüber nach, Julika, vielleicht fällt dir ja noch was Gescheites dazu ein, du bist doch unsere Traumdeuterin«, Wiebke tätschelte mir den Kopf und legte mir einen Riesenhaufen Lauch vor die Nase.
    Während ich den Lauch schnitt, stellte ich mir vor, stattdessen mit dem Hauser durch Patagonien zu reisen und am Ufer des Río Futaleufú Chipsletten zu esse n … Ich schob den Lauch vom klebrigen Plastikbrettchen in den Topf.
    »Die Ratten, sie sind wie die Hydra«, sagte Wiebke unvermittelt.
    »Wie was? Was meinst du damit?«
    »Ich habe nur mal kurz eine Tüte mit Lebensmitteln für Erwin und Karl in der Durchfahrt stehen lassen, um mit Herrn Kanz zu rede n – du weißt, er nervt Klaus immer, dass er über ihn schreiben sol l –, da war die Tüte aufgerissen und die Chips, die Toffifee und die Schokolade wegstibitzt! Nur das Gemüse und den Scheiblettenkäse haben sie übrig gelassen.« Ich konnte die Ratten gut verstehen.
    Später, in der Tagesschau , wurde Bundespräsident Carstens kurz in seinem wetterfesten Anorak gezeigt. Er wollte in den nächsten Tagen ein weiteres Stück von Deutschland erwandern. Ich ging in die Küche, um mir eine Brause anzurühren. Ich liebte Brause aller Art. Wenn auf einer Packung hinten viele E s zu finden waren, war das ein gutes Zeichen: dann hatte die fertige Brausemischung eine schöne, knallige Farbe. Als ich zurückkam, erzählte Klaus, dass Carstens schon seit 1934 Mitglied der SA gewesen sei. »Dass so jemand der oberste Repräsentant unseres Landes sein muss.« Fernab der schwäbischen Alb, die er gerade durchschritt, fern von allem, aber nur ein paar hundert Meter von unserer Straße entfernt, war eine Bombe in einem jüdischen Restaurant explodiert; ein Kind war dabei ums Leben gekommen. Vielleicht hatte ich es vom Sehen gekannt. Im Fernsehen sah man nur eine weiße Bahre mit einem kleinen zugedeckten Körper. Überall lagen Glassplitter herum; allein ihr Anblick schmerzte. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, in den Weiten Patagoniens ein Kanu über den Nahuel-Huapi-See zu steuern. Begleiten würde mich natürlich der furchtlose Hauser.
    Nachts, als ich im Bett lag, sah ich immer wieder den kleinen zugedeckten Körper vor meinem inneren Auge. Und Glassplitter. Knirschten überall im Hof, überal l …
    Um ein Uhr nachts wurde ich von lauter Musik geweckt, die über den Hof schallte: AC / DC . Ich trat ans Fenster und hob den Vorhang an: Der Hauser erledigte im offenen Hawaiihemd und mit zum Zopf hochgebundenem Haar seinen Abwasch, wobei er ab und zu Tanzeinlagen macht e – ein riesiger Berg an Geschirr hatte sich schon seit Wochen in seiner Küche aufgetürmt. Es sah so aus, als würde er die Gläser, die zu schmutzig waren, um sie in zwanzig Sekunden abzuwaschen, einfach in den Mülleimer werfen. Ich starrte mit offenem Mund nach unten. Zwei, drei Minuten vergingen. Let’s Get It Up von AC / DC lief weiter auf Hochtouren .
    »Ruhä!

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